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Ein Wiedersehen

Noch einmal durch diese Tür gehen.

Peter Müller, seit drei Jahren verwitwet und seit zehn Jahren Rentner, setzt sich endlich in sein Auto. Eine Fahrt will er noch machen und dann den Wagen verkaufen. Wohin soll er auch allein fahren? Zum Einkaufen braucht er das Fahrzeug nicht, da er im Stadtzentrum wohnt und alles bequem erreichbar ist. Seine Augen werden ohnehin immer schlechter und bevor der Augenarzt sagt ... Nein – dann will er schon lieber selbst von seinem Auto Abschied nehmen, wann er es möchte.

Abschied nehmen – genau darum geht es, um die letzte Fahrt, die Peter Müller in Begriff ist, zu unternehmen. Seit fünfzig Jahren hat er das Dorf nicht mehr gesehen, indem er aufgewachsen war und dass er, kaum volljährig, verlassen musste, weil der Krieg nach seinen Knochen verlangte. Er desertierte, schlug sich auf abenteuerliche Weise bis nach Schweden durch und erfuhr, dass die Nazis seine Eltern aus der Wohnung holten und sie nie wieder zurück kehrten .

Dieses Schuldgefühl, diese Last ... Peter Müller ist ein gebeugter Mann – in doppelter Hinsicht: Sein Rücken passte sich seiner Psyche an. Er wollte dieses Dorf nie wieder sehen. Wie oft hatten ihn seine Frau und die Kinder darum gebeten! Doch er schüttelte immer wieder nur mit dem Kopf. Und bei jedem dieser Ablehnungen schien sein Rücken etwas krummer zu werden. Und nun sitzt er doch in seinem Auto, um diese Fahrt zu unternehmen. Seine Frau hatte ihn noch an ihren letzten Lebenstagen dieses Versprechen abgerungen. Wie sollte er es jetzt nicht erfüllen? Er hätte es schon längst tun sollen ...

Peter Müller erkennt sein Heimatdorf kaum wieder. Würde die alte Dorfeiche und der Gasthof nicht am Dorfplatz stehen, er hätte keinen Anhaltspunkt mehr gefunden, von dem aus er sich hätte orientieren können. Von dem Gasthof abgesehen, erkennt er nur die Dorfschule wieder. So gut wie alle Häuser waren umgebaut worden. An der Stelle seines mehrstöckigen Elternhauses – eines der wenigen mehrstöckigen Gebäude, die es im Dorf überhaupt gab – befindet sich ein verwaister Spielplatz. Wann mögen hier zum letzten Mal Kinder gespielt haben? Überhaupt: Wo sind die Kinder? Nicht eines hat er bisher gesehen.

"Warum bin ich überhaupt hierher gekommen? Es ist so gut wie alles fremd hier ...", denkt Peter Müller und plötzlich hält er im Gehen inne: Da – diese Tür! Diese Tür! Das ist sie, das ist die Tür des Hauses, in dem er wohnte! Wie aber kommt es, dass sie in dieses andere, fremde Einfamilienhaus eingebaut wurde? Auch die Steine des Mauerwerks, die sie einfasst, sind die gleichen, die sie schon in seinem Elternhaus einfassten.

Als Peter Müller einen Dorfbewohner kommen sieht, fragt er ihn direkt: "Entschuldigung, wie kommt diese Tür in dieses Haus?" Der Dorfbewohner scheint gerade vom Frühschoppen zu kommen, jedenfalls hat er einige Schwierigkeiten, seine Zunge zum Gehorsam zu zwingen: " ... ach Alter eh, du stellst Fragen eh. Die Türe da und die die Steine da ... die waren übrig geblieben nach dem Bombenangriff, so einem Irrläufer eh und die die hat der alte Brunner eben mit verbaut eh ...", und torkelte weiter, ohne sich um Peter Müller zu kümmern.

Peter Müller schüttelt seinen Kopf, besieht sich die Tür und die Steine erneut. Als er einen dieser Steine genauer betrachtet, huscht ein Lächeln über seinem Gesicht. Es ist tatsächlich noch zu sehen, dieses eingeritzte Herz mit dem Amorpfeil und den Initialen PM und MS. PM steht für seinen Namen und MS für Maria Schall, seiner ersten Jugendliebe. Sein bester Freund, Fred Brunner hatte sie ihm ausgespannt, genau der, von dem der Betrunkene erzählte. Der "alte Brunner" hatte also die Tür gerettet und ausgerechnet auch dieses Herz.

"Suchen Sie was bestimmtes?", hört Peter Müller plötzlich eine laute Frauenstimme hinter sich. Erschrocken dreht er sich um, um die Frau zu sehen, doch die Sonne blendet seine Augen. Nur, dass sie etwa sein Alter sein mochte, kann er erkennen. "Nein, nein, oder doch? Ach, entschuldigen Sie bitte, ich bin so erschrocken. Müller, Peter Müller ist mein Name und ich habe bis zum Ausbruch des Krieges hier gelebt. Finde mich aber kaum noch zu Recht. Nur diese Tür hier und dann dieses ..., ach ist schon gut, ich wollte sie nicht erschrecken ..." "Sie haben mich doch nicht erschreckt, sondern ich sie! Wie sagten sie, äh du ... du bist Peter Müller?"

Die Frau geht auf ihn einige Schritte ungläubig zu und plötzlich lachte sie: "Mein Gott – du bist es wirklich, nicht zu fassen. Ich bin die Maria, die ..."
"...Schall Maria?", fragt Peter Müller ungläubig. "Gebürtige Schall ja, aber seit vier Jahren verwitwet!" "Maria!"

Und da ist ein Umarmen, ein Lachen, ein Weinen, ein Schluchzen und Stöhnen und Peter Müller kann gerade noch auf das Herz deuten, bevor Maria Schall ihn in das Haus durch DIESE Tür schiebt .

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