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Die Höflichkeit der Könige

„Storia“ erzählt über verspätete Treffen mit der Busenfreundin...

„Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige“, meinte schon der achtzehnte Ludwig von Frankreich. Und was ihm Recht war, könnte meiner Freundin Lilly eigentlich nur billig sein. Ist es aber nicht. Darum sitze ich nun hier. Bestellt und nicht abgeholt. Dabei hatte sie ausdrücklich gesagt: „Dienstag fünfzehn Uhr in der Konditorei auf unserem Platz am Fenster!“

Ich hätte es mir denken können: Lilly war noch nie pünktlich. So lange wir uns kannten, wartete ich auf sie. Mal weniger, mal länger, aber immer kurz vor meiner Schmerzgrenze. Vorläufig ist alles ganz friedlich. Ich schaue aus dem Fenster, amüsiere mich über die Passanten und verdrücke genüsslich meinen Himbeerkuchen, zerkleinere mit Akribie den Marzipanrand und schiebe ihn hinterher, dazu ein Schlückchen Cappuccino und noch eins. Der Sekundenzeiger meiner Uhr umrundet ein ums andere Mal das Zifferblatt. Schließlich kratze ich noch die restlichen Krümelchen zusammen. Hmm, das war lecker! Ein Blick auf die Uhr:

15.10 Uhr. Die Bedienung schielt zu mir rüber. Ich werde noch ein Glas Wasser bestellen. Oder besser gleich eine ganze Flasche. Einmal der Verdauung wegen und zum anderen wegen Lilly. Sie macht mich noch zum stillen Säufer.

15.15 Uhr. Das akademische Viertel läuft. Aber Viertel interessieren sie sowieso nicht. Was sie macht, macht sie ganz.

15.20 Uhr. Immer noch keine Spur von ihr. Ich nippe an meinem Wasser. Es muss reichen bis sie kommt. Wenn sie kommt. Unpünktliche sind Sadisten. Sie weiden sich an der Vorstellung, dass Pünktliche im eigenen Saft schmoren.

15.25 Uhr. Irgendwie finde ich das Ganze ziemlich unverschämt. Wo leben wir denn? Niemand muss heute noch trommeln, um dem Anderen Bescheid zu geben. Könnte sie mir nicht wenigstens eine SMS schicken, wenn sie mal wieder keinen Parkplatz gefunden hatte oder mal wieder nicht weiß, wo sie ihr Auto geparkt hat? Nichts. Ich stiere auf den Grund meines Wasserglases. Hätte die farblose Flüssigkeit wenigstens ein paar Gasbläschen. Dann könnte ich die zählen. Meine Finger klopfen im Staccato auf das Tischtuch.

15.30 Uhr. Langsam wird mir die Geschichte zu bunt! Vielleicht hatte Lilly einen Verkehrsunfall? Ich spüre meine Hände feucht werden. Geballte Hitze steigt mir in den Kragen, mein Herz schlägt heftiger. Ich sitze hier und mache ihr die bittersten Vorwürfe, derweil liegt sie vielleicht zu dieser Zeit bereits auf einer Bahre. Um Gottes Willen! Ich bin nahe dran, aufzuspringen und loszurennen. Dann nützt es auch nichts, wenn ich ihr jetzt eine SMS schicke! Klappere ich gleich sämtliche Krankenhäuser ab?

15.35 Uhr. Ruhe. Immer mit der Ruhe. Erste Zweifel melden sich: Waren wir wirklich verabredet? Heute? Hier? Ist überhaupt Dienstag? Ich muss mich vergewissern. Gebückt wie ein armes Sünderlein schleiche ich zum Zeitungsständer: Jede Menge Presseerzeugnisse. Von Samstag. Von Montag. Aber keine von Dienstag. Mein Handy zeigt nur ein Datum an. Aber von Datum war ja keine Rede. Ob ich die Bedienung nach dem Wochentag fragen soll? Sie schaut schon so misstrauisch. Lieber nicht. Was soll sie von mir denken? Meine Finger trommeln tatata – tatata – Mozart: Türkischer Marsch.

15.40 Uhr. Es wird für mich zur Sicherheit: Hier stimmt was nicht. Wochentag, Uhrzeit. Vielleicht ist heute erst Montag und ich sitze hier bis morgen bei einem Wasser?

15.45 Uhr. Jetzt packt mich die kalte Wut. Ich bin auf Streit gebürstet. Wenn Lilly den will, kann sie ihn haben. Auf ihre Ausreden kann ich gut und gern verzichten. Selbst wenn sie auf einer Bahre liegt, hätte sie an unsere Verabredung denken können! Eine dreiviertel Stunde Verspätung. Was hätte ich in dieser Zeit schon alles erledigen können! Bücher lesen. Kurzurlaub. Ich habe meine Zeit doch nicht gestohlen! Nein, meine Liebe, nicht mit mir! Egal, ob dir nun der Autoschlüssel in die Hühnerbrühe gefallen ist oder ob dein Papagei Tango tanzt: Ich spiele nicht mehr mit!

Entschlossen winke ich der Bedienung und zahle. Soll ich hinterlassen, dass ich gegangen bin? Ach was! Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Sie soll am eigenen Leib spüren, wie das ist, wenn man versetzt wird! Schadenfroh male ich mir aus, wie verdattert sie dastehen wird. Wenn sie käme, während ich ginge. Cool bis ans Herz hinan würde ich lässig hinwerfen: „Tut mit Leid, meine Liebe, aber ich habe eine Verabredung! Die pflege i c h einzuhalten!“ Und beim Hinausgehen nebenbei über die Schulter ein hingeworfenes: „Übrigens - der Himbeerkuchen ist ausgezeichnet! Solltest du auch versuchen! Bei dir kommt’s ja auf ein paar Kilo nicht mehr an!“ Das sitzt. Und Rache muss sein. Gerade, als ich in den Ärmel meiner Jacke fahre, geht die Tür auf. Lilly stürzt herein. „Duentschuldigeestutmirallessoleid,“ wie gehabt. Bussi rechts und links in den Luftraum. Mit weit aufgerissenen Augen: “Du willst doch nicht schon gehen? Wir waren doch verabredet!“ Es reicht! Mit all meinem aufgestauten Zorn in der Seele schleudere ich ihr mit hochrotem Gesicht entgegen: „Ach, macht doch nichts! Ich bin ja auch eben erst gekommen.“ Ist das noch normal?

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