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Der Birnbaum

Die Autorin: Ingrid Tolkmitt

1937 wurde ich geboren und lebe heute wieder in meinem Elternhaus in Hamburg. Ein sehr geliebtes Hobby , mit Goldschmiedearbeiten Schmuckstücke herzustellen, musste ich wegen einer Erkrankung aufgeben. So suchte ich nach anderen Ventilen für meine Phantasie und begann zu schreiben. Das nötige Handwerk erlernte ich in Schreibwerkstätten. Es entstanden viele Kurzgeschichten, bevorzugt für Kinder. Mehre wurden veröffentlicht. 2007 verfasste ich einen Roman/Sachbuch über die Geschichte des Gutshauses Bobbin im Verlauf der Jahrhunderte. 750 Jahre Geschichte des Gutshauses sind auch die Geschichte Mecklenburgs. Das Buch war innerhalb von 4 Wochen total vergriffen.

Der Birnbaum

Seit meiner Kindheit kannte ich den Baum. Von meinem Großvater gepflanzt und liebevoll gepflegt, stand er hinter dem Haus. Groß und prächtig war er in den 80 Jahren seines Baumlebens geworden. Sein Wipfel überragte das Haus um einige Meter. In jedem Frühjahr war seine sich zu allen Seiten weit ausbreitende Krone so dicht mit weißen Blüten übersät, dass kein Ast oder Zweig zu sehen war.

Wenn die Blüte vorbei war und der Wind durch den Wipfel blies, glaubte ich immer wieder, er würde es für mich allein noch einmal schneien lassen. Ich versuchte, die fallenden Blütenblätter zu fangen und war vor Freude ganz ausgelassen. Im Herbst trug er kleine harte Kochbirnen. Da er etwa 13-14 Meter hoch war, konnten sie nicht gepflückt werden. Mit einem lauten Klack fielen sie herab und schlugen auf die Steine. Meine Mutter kochte sie in Zuckeressig ein. Davon konnte ich immer wieder naschen. Zurückdenkend spüre ich diesen köstlichen Geschmack noch auf meiner Zunge.


So vergingen viele Jahre, bis der große schöne Baum anfing, sich zu verändern. Er blühte kaum noch und warf bereits im Sommer sein Laub ab. Er war krank. Ein Baumdoktor wurde geholt. Er untersuchte den Stamm und die herabfallenden Blätter und stellte fest, dass der Baum einen Pilz hatte. Das machte ihn krank. Bekämpfen konnte und kann man diesen Schädling nur sehr schwer. Bei kleineren Bäumen ist es möglich, die Krone des Baums mit einem Gegenmittel zu spritzen. Doch wie sollte dies bei einem Baum geschehen, der den First des 3-Familienhauses noch um etliche Meter überragte?

Hätte ich vielleicht Jahr für Jahr einen Hubschrauber bestellen sollen? So konnte ich nur zusehen, wie er langsam starb. Kahl und trocken streckte er in diesem Jahr seine Äste in den Himmel, es war kein Leben mehr in ihm.

Durch einen heftigen Gewittersturm mit Orkanböen brach ein dicker Ast ab und wirbelte auf das nahe Dach. Er schlug ein gewaltiges Loch in die Pfannen.

Es goss in Strömen. Die Überschwemmung und der Schaden auf dem Dachboden waren beträchtlich. Es standen dort Kartons, Kisten und ein alter Koffer, vollgepackt mit Erinnerungen. Alte Fotoalben, geliebte Kleider vergangener Jahre und Kinderbücher wurden durchnässt und waren zum Teil nicht mehr zu retten.


Damit war das Schicksal des Birnbaums besiegelt. Er musste abgesägt werden. Trotzdem, der Entschluss fiel mir schwer. Da stand ich nun an seinem Stamm und sprach mit meinem Baum. Umarmen konnte ich ihn nicht, sein Stamm war zu dick. Noch einmal strich ich über seine vermooste Rinde und bedankte mich bei ihm für die Freude, die er mir so viele Jahre geschenkt hatte.

Bei meiner Suche nach einem Baumfäller fand ich Thomas. Wir verabredeten uns. Thomas kam und betrachtete mit sorgenvollem Gesicht den Baumriesen. „Das wird nicht einfach“, erklärte er mir. Er ging um den Baum herum und schaute sich die weit ausladenden Äste an. „Der zuerst, der dahin, der muss abgeseilt werden“ murmelte er, während er mit den Armen fuchtelte und kreuz und quer in den Himmel zeigte.

Einige Tage später ging es dann tatsächlich los. Die Leiter wurde ausgefahren und die dicken Äste im Bereich der ersten 3-4 Meter Höhe fielen der Säge zum Opfer. Nun kamen die nächsten Meter.


Obwohl der Himmel wolkenverhangen und die Temperaturen eher kühl waren, geriet Thomas ins Schwitzen. Er zog seine graue Jacke aus. Darunter trug er einen dicken gelben Pullover. Um die Taille wickelte er sich einen Gurt und band sich am Stamm fest. Es sah aus, als säße ein großer gelber Kanarienvogel im Baum.

Es wurde zunehmend schwieriger, Probleme traten auf, weil die Motorsäge streikte. Thomas musste sich vom Stamm losbinden, von der Leiter steigen, Benzin in die Säge füllen, einen Probelauf starten, wieder rauf auf die Leiter und sich wieder festbinden. Das war schweißtreibend. Deshalb löste Thomas den Gurt wieder, stieg von der Leiter und zog den dicken gelben Pullover aus. Darunter trug er ein olivfarbenes, langärmeliges T-Shirt.


Erneut kletterte er hinauf und begann, sich zur Spitze des Baumes hochzuarbeiten. Die dickeren Äste konnten nun aber nicht mehr einfach nur auf den Hof fallen, sie mussten mit einem Seil umwickelt und gesichert werden. Unten stand ein Helfer mit dem dicken Tampen in den Händen. Auf Zuruf zog er. Wieder fiel ein dicker Ast. Bald war der Hofplatz übersät mit Ästen, Sägespänen und trockenem Reisig.


Nachdem nur noch der nackte Stamm in den Himmel ragte, sollte möglichst viel von der Spitze abgetragen werden. Mit hoch erhobenen Händen über seinem Kopf, setzte Thomas die Säge an. Das Geräusch war fürchterlich. Der Baum fing an zu kreischen als hätte er Schmerzen. Auch Bäume und Pflanzen kennen Schmerzen.

Der olivgrüne Thomas im Baum, erkennbar nur als Beule am Stamm, denn er hatte ja fast die Farbe der Rinde, band sich wieder los und kletterte die Leiter hinab. Ich fragte ihn, ob im Stamm noch Leben sei, es hätte sich angehört, als würde der Baum wimmern oder schreien.


„Nein“, sagte Thomas, „mein Sägeblatt ist stumpf. Ich muss ein neues aufziehen. Der Baum ist tot. Er spürt nichts mehr“. Trotz der kühlen Witterung stand ihm der Schweiß auf der Stirn. Während ich noch überlegte, was er wohl nun noch ausziehen würde, zog er das T-Shirt aus. Ich wartete gespannt. Zum Vorschein kam ein blaues Hemd. Dieses zog er nicht aus. Das benutzte er, um sich mit dem Ärmel immer wieder den Schweiß aus den Augen zu wischen. Wieder stieg er auf die Leiter. Er kletterte am Stamm hoch, die Reststücke der gefallenen Äste nutzte er als Trittstufen und band sich fest. Mit beiden Händen schnitt er einen Keil aus dem Stamm. Der Helfer mit dem Tau in der Hand zog mit aller Kraft, der Stamm wollte nicht fallen. Thomas musste helfen.

Losbinden, am Stamm hinabklettern, die Leiter hinab, umfasste auch er den Tampen und gemeinsam zogen die zwei. Das angesägte Stück wollte wieder nicht fallen. Schnell lief ich zum netten Nachbarn von gegenüber. Der kam. Nun zogen sie zu dritt. Hau-ruck und noch mal auf Kommando. Dann kippte der Stamm fast im Zeitlupentempo. Er fiel und schlug ein großes Loch in die Erde.

Genau an diesem Platz stand an fast allen Tagen mein Auto. Nur dieses Mal nicht. Welch ein Gewicht und Kraft steckte noch immer in dem abgestorbenen Birnbaum. Mein Auto hätte der fallende Baumstamm total zermalmt. Es wäre schrottreif gewesen.

Der Reststamm, noch gut vier Meter hoch, sollte möglichst nahe dem Boden abgesägt werden. Ich hab es nachgemessen. An dieser Stelle hatte der Birnbaum einen Durchmesser von über 70 Zentimetern. Der Birnbaum widersetzte sich allen weiteren Sägeversuchen. Ein Keil musste her, um den Stamm am gesägten Schnitt im Holz zu spalten. Zwei gezielte Hiebe mit einem extra neu gekauften Vorschlaghammer und der Hammerstiel zerbrach. Taugt das Werkzeug heutzutage nichts mehr oder war es die Rache meines Birnbaums.

Inzwischen kam die Elster, die den Wipfel des Baumes wohl jahrelang als Rastplatz genutzt hatte. Sie setzte sich auf einen der Gartenstühle und beschimpfte uns aus voller Kehle. Tschäck-tschäck-tschäk, tschäck-tschäck-tschäk. Doch davon wuchs der Baum nicht wieder. So flog sie laut meckernd davon. Ich verstand sie gut, denn auch ich hätte das ehemalige Prachtexemplar von Baum gerne erhalten. Der Baum wehrte sich nicht länger und nun ging alles ganz rasch.

Der restliche Stamm fiel und wurde zerlegt. Der Reststamm im Boden wurde einige Male eingesägt, damit er schneller vermodern kann. Ob das noch einmal 80 Jahre dauert? Die zersägten Baumscheiben in Kaminholzgröße geschnitten, wurden gestapelt und werden im Winter ein schönes wärmendes Feuer geben. Es ist gutes hartes Holz.


So wird der Baum mir ein letztes Mal Freude bereiten, wenn er mich wärmt. Im flackernden Schein der Flammen werde ich träumen und meinem Birnbaum nochmals danken.

Autor: Zwillingsjungfrau

Birkenbäume

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