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Das rote Tuch

Kurzgeschichten

Das rote Tuch


Der Sand knistert leise, wenn der Wind sanft darüber streicht, und einzelne Körner über den Grat der Düne rollen. Die Sonne erklimmt den Horizont, und übergießt die Einöde mit ihrem sanften Licht. Es ist noch so kalt, so dass Ima ihr leuchtend, rotes Tuch über Kopf und Schulter legt. Sie steht unter einer großen Schirmakazie, die schwarze Schatten auf den Sand zeichnet. Ein kleiner Käfer versucht die Tautropfen, die von den Ästen fallen, aufzusaugen.

Die junge Frau beobachte das Geschehen mit einem leichten Lächeln. Wie im Zeitraffer steigt die Sonne immer höher und verändert ihre Farbe. Das Orange verblasst, wird heller, durchsichtiger. Kleine, weiße Wolken segeln am blauen Himmel. Langsam lösen sie sich auf, ohne Spuren zu hinterlassen. Die Vögel, in ihren luftigen Nestern, sind erwacht. Sie begrüßen den Tag mit ihrem fröhlichen Gezwitscher. Ima lockert ihr Tuch, denn es ist wärmer geworden. Sie schaut noch einmal um sich, dann geht sie zu ihrem Dorf zurück. Ihre Füße versinken bis zu den Knöcheln im Sand, und der Wind verweht sofort ihre Spuren.

Sie kommt an dem Dattelhain vorbei, der die Oase einrahmt. Pflückt einige von den reifen Früchten, die in Trauben herunter hängen und kaut sie genussvoll. Das Wasser aus dem tiefen Brunnen ist kühl. Sie trinkt mit großen Schlucken, und so erfrischt geht sie weiter zu ihrem Haus, das am Ende des Dorfes steht.

Es hat die gleiche Farbe wie der Sand. Gelblich, fast ockerfarben, leuchtet es in der Sonne, wie auch das ihrer Nachbarn, vor denen die Frauen mit ihren Kindern im Schatten sitzen. Sie trinken süßen Pfefferminztee, der so heiß ist, dass sie das Glas ständig von einer Hand in die Andere nehmen.

"Ima, komm zu uns, und trinke einen Tee", rufen sie ihr lachend zu. "Warst du wieder auf der Düne und hast in der Sonne auf deinen Liebsten gewartet?" Ima tritt in ihre Mitte, in der ihr die Kinder bereitwillig Platz machen, setzt sich auf den Teppich, und schlägt das rote Tuch zurück. Ihre langen Haare fallen schwarz glänzend über die Schultern. Sie trinkt langsam, und atmet den würzigen heißen Dampf ein.

"Ja, ich war auf der Düne. Ich wollte die Sonne sehen, wenn sie den Tag begrüßt. Der erste Strahl, den sie zu uns schickt, bedeutet Leben. Mit dem Zweiten schickt sie uns die Liebe, und mit dem Dritten Wärme. Wenn sie den Zenit erreicht, schickt sie meinen Mann zu mir."

Sie steht auf, bedankt sich für den Tee und überquert den Dorfplatz, auf dem die Hunde im Schatten der Hofmauern dösen. In ihrem Haus ist es kühl, und ein angenehmer Wind bläht die Vorhänge wie Segel. Lichtreflexe wandern wie dünne Finger unruhig über die Wände. Lösen sich auf, um sich wieder neu zu formen. Ima beobachtet dieses Schauspiel, als sie leise ihren Namen rufen hört. Erschrocken dreht sie sich um.

"Diob, meine Liebster." Schnell läuft sie auf ihn zu, und er nimmt sie lachend in seine Arme. "Hast du das Kamel gefunden, oder waren die Schakale schneller?" "Meine liebe Ima, ich werde es dir später erzählen. Ich bin sehr durstig und habe großen Hunger." Sie eilt geschäftig hin und her. Unauffällig beobachtet sie ihren Mann, der seine Kleidung ablegt und sich das kalte Wasser über den Körper laufen lässt. Noch nass, wickelt er sich ein Tuch über die Hüften, setzt sich mit überkreuzten Beinen auf die Kissen, und fängt an zu berichten: "Ich habe das Tier nicht gefunden, aber heute Abend werde ich weiter suchen. Sie wird jetzt bald Mutter werden, und die Kamele verstecken sich, um alleine zu gebären. Niemand soll ihre Schmerzen sehen."

Als es dunkel wird begleitet Ima ihren Mann bis an den Rand des Dorfes. Liebevoll umarmt er sie. Legt das rote Tuch über ihre Haare und sagt: "Ich weiß, dass du morgen früh wieder auf der Düne stehen wirst, um die Sonne zu erwarten. Mit dem ersten Strahl schickt sie meine Liebe zu dir, und wenn sie sich am Abend verabschiedet werde ich wieder bei dir sein." Ima schaut ihm so lange hinterher, bis seine Silhouette eins wird mit dem Horizont. Der Wind ist stärker geworden und bei jedem ihrer Schritte wirbelt er den Sand wie kleine Fontänen auf.

Es ist noch sehr früh als Ima am nächsten Morgen ihr Haus verlässt. Die Menschen und Tiere schlafen noch. Niemand sieht sie, als sie das Dorf verlässt. Als sie aus dem Palmenhain tritt, zerrt der Wind, der sich zu einem Sturm ausweitet, an ihrem Kleid. Aber sie lässt sich nicht beirren und geht weiter, um den Grat der Düne zu erreichen, bevor der erste Strahl der Sonne die Erde berührt. Sie überhört das starke Brausen des herannahenden Wirbelsturms.

Am Mittag, als sich der Sandsturm gelegt hat, kommt Diob mit seinem Kamel zurück, und seine Herde ist um ein Tier größer geworden. In seinem Haus ist es dunkel und still. Die Vorhänge bewegen sich nicht und keine Lichtreflexe wandern über die Wände. Eine große Angst überfällt ihn, und er läuft über den großen Platz, laut ihren Namen rufend. Doch er bekommt keine Antwort. Niemand hat seine Frau gesehen. Schnell läuft er weiter, bis er den Rand der Düne erreicht.

Er schaut um sich, aber er kann sie auch hier nicht sehen. Voller Trauer lehnt er sich an den Stamm der Schirmakazie. Kein Laut ist zu hören, denn die Vögel singen in der Hitze keine Lieder. Da berührt sein Fuß etwas, was nicht in den Sand gehört. Er bückt sich und sieht etwas Rotes. Mit den Händen schiebt er den Sand an die Seite. Am Nachmittag, als die Sonne sich dem Horizont zuneigt, trägt er seine Frau Ima, die er in das rote Tuch gehüllt hat, auf den Armen.



Die Regenfrau


In den Bäumen rauscht ein leichter Wind, und er ist so kühl wie die Mondsichel am Himmel. Die Sterne flimmern in allen Farben. In der Lichtung des Waldes steht eine Frau, die sehr zerbrechlich wirkt. Aus ihren langen, grauen Haaren rinnen Wassertropfen. Sie setzten ihren Weg über den Rücken fort, bis sie auf das Moos fallen. Ihr Körper strahlt Sinnlichkeit aus, und ihre Augen schauen in die Unendlichkeit. Ein Hauch von Traurigkeit umgibt sie.

Sie schüttelt den Kopf, bis die Tropfen aus ihren Haaren in alle Richtungen fliegen. Es sieht wie ein kleines Wetterleuchten aus, als die Strahlen des Mondes sie treffen. Dann legt sie den Kopf in den Nacken und atmet tief ein. Niemand ist da für sie. Niemand mit dem sie sprechen kann. Aber es gibt Worte, die man nicht sagen muss, denn es ist ein Moment der zwischen Realität, Staunen und Unwirklichkeit liegt.

Sie zögert einen Augenblick, als lausche sie und nimmt eine wunderschöne Glaskugel in die Hand. Dreht sie hin und her, bis sie anfängt zu glühen und ein warmes Licht zu verbreiten. Eine leise Melodie ist zu hören. Eine geheimnisvolle Weise, die man nicht erklären kann. Man kann nur eintauchen in diese Atmosphäre.

Die Grenze zwischen Zeit und Raum fängt sich an aufzulösen. Die Kugel in ihrer Hand dreht sich schneller und schneller. Die Wassertropfen glitzern wie ein diamantener Schleier, als sie sich, wie zu einem Tanz, um sich selber dreht. Ein kleines Lächeln liegt auf ihrem Gesicht, als sie sich von dem Waldboden löst. Wie von einer leuchtenden Spirale gezogen, die bis in die Wolken reicht.

Am nächsten Morgen, als die Sonne aufgeht, sieht man einen Regenbogen mit seinen leuchtenden Farben. Und wenn man genau hinhört, vernimmt man eine kleine, leise Melodie.

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