Dolce Vita und Controversia - die Frankfurter Buchmesse
Der Herbst ist Lesezeit. Wenn im Oktober in der U-Bahn Linie U4 in Richtung Messe Sprachen aller Länder der Welt den Frankfurter Dialekt aufmischen, dann ist es wieder so weit: Die größte Buchmesse der Welt findet statt.
Bereits im Jahr 1949, wenige Jahre nach der Wiederaufnahme der jahrhundertealten Tradition Frankfurts als Umschlagsplatz des Buchhandels, entwickelte sich die Buchmesse zur Kontaktzone des internationalen Buch- und Verlagswesens. Seit 1988 rücken die Veranstalter der Buchmesse daher ein Land in den Vordergrund, den sogenannten ‚Ehrengast‘, um dessen Geschichte, Kultur und Literatur anschaulich zu präsentieren. Vom Erfolg des interkulturellen Dialogs und Kontroversen – die Buchmesse und ihre Ehrengäste im Laufe der Zeit.
Die Frankfurter Buchmesse hat schon immer spannende Themenschwerpunkte gesetzt. Seit 1988 lockt jedoch ein besonderer Ehrengast sowohl Fachbesucher als auch Privatpersonen an. In der Regel sind dies Länder oder sprachliche Regionen, die mit ihren Geschichten, ihrer vielfältigen Kultur und Einzigartigkeit die Frankfurter Buchmesse bereichern. Der Ehrengast erhält einen Pavillon auf dem Messegelände, in dem sich das Gastland mit einer Ausstellung und einem vielfältigen Programm aus Lesungen, Diskussionen und Performances präsentieren kann.
„Alles begann mit Italien.“ So beschreibt die Frankfurter Buchmesse zumindest ihren diesjährigen Ehrengast, der 1988 als erstes Gastland offiziell in den Fokus der Bücherschau gerückt wurde. Damalige Leuchtfigur der italienischen Schriftstellerdelegation war niemand geringeres als Umberto Eco. Wenige Jahre zuvor hatte er mit „Der Name der Rose“, heute ein Paradebeispiel postmoderner Literatur, zahlreiche Verkaufsrekorde gebrochen. 1988 kehrte er mit seinem damals brandneuen Roman „Das Foucaultsche Pendel" zurück. Und heute, 36 Jahre später? Zur 76. Ausgabe der Frankfurter Buchmesse möchte Italien mit seiner Delegation unter dem offiziellen Motto „Verwurzelt in der Zukunft“ ein Bild der Kultur als Begegnungsort zwischen Tradition und Moderne zeichnen. Um außerdem die Verbundenheit Deutschlands zu Italien zu feiern, können Besucher die Italienreise des berühmtesten Sohns der Stadt, Johann Wolfgang von Goethe, spielerisch nacherleben.
Dass der Austausch zwischen der Buchmesse und seinem Ehrengast nicht immer von reiner Harmonie geprägt war, zeigt ein Blick in die Vergangenheit, ins Jahr 2009. Offizielles Gastland wurde China, was zu Spannungen zwischen der offiziellen chinesischen Delegation und regierungskritischen Autoren führte. Das wirtschaftlich stärkste Land der Welt schränkt seit Jahrzehnten systematisch die Meinungs- und Redefreiheit ein. Die regierungskritischen Schriftsteller Bei Ling und Dai Qing wurden daher im Vorfeld der Frankfurter Buchmesse von der chinesischen Delegation ausgeschlossen; beide reisten trotzdem an. Als Bei Ling und Dai Qing bei einem Symposium das Wort ergriffen, verließ ein Großteil der chinesischen Delegation daraufhin den Saal. Die Kontroverse führte zu einer breiten Diskussion über Meinungsfreiheit und den Umgang mit politisch sensiblen Themen bei internationalen Kulturveranstaltungen. Frankfurts Oberbürgermeisterin Petra Roth hielt als Reaktion eine Rede, die als „flammendes Plädoyer für die Freiheit des Wortes" beschrieben wurde – Bei Ling und Dai Qing wurden darin namentlich erwähnt.
Auch das Land, „wo die Zitronen blühen“, das von einer ultrarechten Regierung geführt wird, sorgt dieses Jahr für so manches Kopfschütteln.
Der Ehrengast Italien bringt in den kommenden Tagen etwa 100 Schriftstellerinnen und Schriftsteller nach Frankfurt. Allerdings fehlen einige prominente regierungskritische Autoren, darunter der bekannte Mafia-Enthüllungsautor Roberto Saviano. Trotz seiner Abwesenheit wird Saviano auf Einladung seines Verlags an Veranstaltungen teilnehmen, jedoch nicht als Teil der offiziellen Delegation. Seine kritische Stimme? Augenscheinlich unerwünscht. Zahlreiche italienische Autoren erhoben im Vorfeld der Buchmesse den Vorwurf gegen Giorgia Melonis Kabinett, regierungskritische Schriftsteller aus der offiziellen Buchmessedelegation ausgeschlossen zu haben.
Seit dem Start des Ehrengastprogramms 1988 konnten bisher 31 Länder und Kulturregionen die weltgrößte Bühne ihrer Art nutzen, um literarische Erzeugnisse und kulturelle Identitäten vorzustellen – ein Erfolg für die Frankfurter Buchmesse als Ort des Austauschs. Geladen oder ungeladen: das Gastland Italien, das einst Goethe aus seiner Schaffenskrise befreite, zeigt einmal mehr die Bedeutung des Buchs als mächtiges Mittel für die Demokratie auf.
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