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Inese und Bernd

Unerwartet früh ist dieses Jahr der Frühling gekommen: Seit Tagen scheint strahlend die Sonne über Kassel; es sprießt und blüht und zwitschert und summt in Gärten, Wälder und auf Wiesen... Beim Morgenlauf, wenn der Nebel über Kassel langsam fällt und wenn die Weite dem Blick sich wieder offenbart, werde ich von einer tiefen Dankbarkeit erfüllt.

Vor einem Jahr (am 2. Februar 2013) starb unerwartet mein Ehemann. Wir waren zu Besuch bei meinen Kindern in Boston, USA, weil Ende Dezember 2012 der kleine Dominic, unser Enkelsohn, auf die Welt wollte. Neben der Freude über den Neugeborenen schien daher der unerwartete Verlust meines Mannes sehr schockierend und doppelt so schmerzhaft. Uns wurde gegeben, uns wurde aber auch genommen. Auf das Nehmen waren wir vorbereitet und neugierig; das Geben wollten wir nicht hinnehmen, mussten aber...

Der Verlust hat auch viele Veränderungen in meinem Leben mit sich gebracht. Es gab viele innere und äußere Konflikte, die der bzw. die Hinterbliebenen zu bewältigen hatten – leider ist es meist so. Durch den Alltag überfordert und belastet habe ich gar nicht gemerkt, wie sehr ich mich vernachlässigt habe. Der Morgenlauf und Gebete, auch die Alltagsroutine hielten mich noch am Leben.

Auch die besondere Freundschaft und Briefwechsel mit einem FA-Mitglied stärkten meinen Willen und halfen meine Gedanken und Gefühle zu klären. Vermutlich hat seine Krankheit jetzt eine Stufe erreicht, wo er nicht mehr schreiben kann. Seit Mitte Januar schweigt er. Darauf sollten wir ja auch vorbereitet sein, doch es kommt alles immer anders als erwartet...

Ja, liebe Feierabend-Freunde, am 25. März 2013 wurde mir eine Sofortnachricht bei FA zugeschickt: „Wie geht es Ihnen? Sie sehen ja reizend aus...“ schrieb kleinerherkules. „Danke für Ihre Nachfrage. Ich nehme sie als Kompliment an“, lautete meine Antwort. Es war mir überhaupt nicht danach, irgendetwas zu schreiben, weil die Müdigkeit, das Erschöpft-Sein und der Schmerz viel zu groß schienen. Dabei war das Foto in meinem Profil schon 2 Jahre alt. Ich schaute in den Spiegel: Da kam mir die bittere Wahrheit im Spiegelbild entgegen – müdes, farbloses, freudloses Gesicht mit leerem, ausgelöschtem Blick. Kein Glänzen in Augen. Ich wachte innerlich auf und ging zu Fuß zu meinem Friseur. Am nächsten Tag erreichte mich erneut eine Nachricht von kleinherkules. „Wie geht es Ihnen heute?“, lautete diese. „Danke für die Nachfrage, es geht mir gut...“ In der dritten Nachricht wollte kleinerherkules wissen, wo ich denn wohne. Von Natur aus vorsichtig schrieb ich dann eine heftige Antwort. Statt zu schweigen, teilte nun der Mann mir mit: Er wolle doch nur mein Wohnort, nicht die Kontonummer erfahren. Er komme aus Kassel. Nachrichten hin und her... sind wir doch ins Gespräch gekommen. Ich muss schon zugeben, dass Bernd (kleinherkules) sich als ein geduldiger, hartnäckiger und humorvoller Mensch bewies. Er hatte Wünsche und Ziele, die mit meinen damals überhaupt nicht übereinstimmten.

Trauer braucht ihre Zeit und ihren Platz und lässt sich nicht vertreiben, wenn der Verbliebene gesund weiter leben will. Jede Phase muss durchlebt werden, jeder Rückfall ist mit tiefem Schmerz verbunden und die „Auferstehung“ fordert viel Willenskraft. Die Art und Weise aber, wie es geschieht – die wird dem Menschen selbst überlassen. Dabei ist die Unterstützung der Mitmenschen undenkbar wichtig. Diese bekam ich dann auch von Bernd über unser Briefwechsel.

Am 5. April 2013, am Tag der Urnenbeisetzung, wurde mir mitgeteilt, dass ich das Haus bis zum 31. August verlassen muss. Die Entscheidung sollte schnell gefällt werden – wohin denn eigentlich?

Zufälle gibt es nicht. Meine Wege fuhren nach Kassel. Das ist jetzt mein neues Zuhause. Viel Unterstützung kam mir von allen Seiten – Freunden, Bekannten, Unbekannten - entgegen, sonst wäre es unmöglich gewesen, die Trauer und den Umzug zu bewältigen. Uns – Bernd und mich – verbindet seit einem Jahr eine wunderschöne und bereichernde Freundschaft und wachsende Partnerschaft, der wir gerne Zeit und Raum geben. So bin ich dem lieben Gott, der die vielen „Zufälle“ mir zuschickte, von Herzen dankbar.

Liebe Feierabend-Redaktion, Das ist ein kurzer subjektiver Blick auf eine erstaunlich schöne Begegnung. Diese Geschichte schreibe ich in Dankbarkeit dafür, dass es Feierabend gibt. Es stimmt, wenn Menschen sich dort über Unverschämtheit, Betrug und Wutausbrüche mancher Mitglieder sich beklagen – das gibt es, weil das ja auch zu Menschen gehört. Wer aber offen, freundlich und gleichzeitig auch wach bleibt, auf die Grenzen des Fremden und des Eigenen achtet, der wird beschenkt … im wirklich positiven Sinne. Damit geht meine Geschichte zu Ende.

Autor: Feierabend-Mitglied

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