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Ingrid und die Reeperbahn

Ingrid bekam Besuch von einem befreundeten Ehepaar mit deren kleiner Tochter. Diese Freunde kamen aus einer kleineren Stadt. Sie wünschten sich sehr, einmal die Reeperbahn zu sehen. Sie gehörten zu einer Clique, die sich irgendwann um drei Ehepaare gebildet hatte. Immer gab es Bewegung in der Gruppe. Neue Pärchen kamen dazu, diese brachten ihre Freunde mit, so war die Gruppe stets in Bewegung. In kleinerem oder größerem Kreis wurde viel unternommen. Die Erwachsenen waren alle etwa im gleichen Alter, die Kinder zwischen fünf bis sechs Jahren ebenso.

Da Ingrid und auch die Freunde ihre Kinder nicht allein im Haus lassen wollten, sollte der Bummel über die Reeperbahn am Nachmittag stattfinden. Ingrid führte einige Telefonate und im Handumdrehen wollten Freunde aus der Clique an dem Reeperbahnbummel teilnehmen. Es wurde begrüßt, dass alle ihre Kinder mitbringen konnten. Zu dem spontan vereinbarten Treffpunkt am Millerntor waren alle pünktlich. Die Kinder begrüßten sich und tobten um die Erwachsenen herum. Nachdem die Kinder eingefangen waren, marschierten alle los.

Ingrid hatte sich erst kürzlich mit der Geschichte Hamburgs befasst und erzählte der Gruppe kleine Kuriositäten, während die Männer lange Hälse machten, um einen Blick in die Auslagen der kleinen Fenster zu werfen. Darin wurden Waren angeboten, die sich auf der Reeperbahn wohl besonders gut verkaufen ließen. Diese kleinen Stopps nutzten die Kinder immer wieder für übermütige Spiele.

Einige Blocks hinter der Davidswache bemerkte Ingrid plötzlich, dass ihr Enno nicht mehr bei der Gruppe war. Sie blieb erschrocken stehen und rief laut nach ihm. Keine Antwort. Sie geriet in Panik, ihr Sonnenschein war gekidnappt. Logisch, er war ja auch der hübscheste Junge von ganz Hamburg (fand Ingrid). Die Gruppe war ebenso erschrocken. Gemeinsam riefen alle nach Enno, keine Antwort von ihm.

Alle machten kehrt, sahen in jeden Hauseingang, suchten mit den Augen die Straße ab, schauten in jedes Geschäft, Enno war verschwunden. Langsam ging die Gruppe zurück. Die Mütter hatten ihre Kinder fest an der Hand, selbst diese waren ernst geworden. Auch sie spürten, es war etwas geschehen, was die Eltern ängstigte.

An der nächsten Straßenecke sah Ingrid einen Menschenauflauf, sie standen im Kreis um etwas herum. Ingrid ahnte Schreckliches, ihre Fantasie ging mit ihr durch. So schnell die Beine sie trugen, rannte sie auf die Gruppe zu. Ganz sicher hatte ein Auto Enno überfahren, ob er noch lebte? Sie hatte die Gruppe erreicht. Ohne Rücksicht drängelte sie sich durch die Reihen. Dann sah sie es.

Den Eingang eines Lokals behüteten etwas angestaubt zwei gemeißelte Figuren. In der Architektur wurden diese Motive bis zum Beginn des vergangenen Jahrhunderts gerne an Stelle von Säulen verwendet. Links der Mann, rechts eine Frau aus Stein. Beide Plastiken waren, wie im Museum zu bewundern, erst ab der Taille bis zu den Füßen bekleidet. Mit hoch erhobenen Händen trugen sie gemeinsam die Weltkugel.

Und Ingrid erblickte ihren Sohn. Auf Zehenspitzen, hoch aufgerichtet, stand er vor der weiblichen Figur. Mit seinen kleinen Händen streichelte er völlig selbstvergessen und mit großer Ausdauer deren unbekleideten Busen. Ingrid suchte Blickkontakt zu den Freunden. Denen erging es wie den Menschen in dem Auflauf. Sie konnten ein Lachen kaum unterdrücken.

Schiller kannte die menschliche Seele. Er zitierte in seinem "Wilhelm Tell’

Früh übt sich,
was ein Meister werden will.

Autor: Zwillingsjungfrau

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