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Ingrid und das Alter

Freunde hatten meinen Sohn und mich eingeladen, sie zu besuchen. Das schöne alte Gutshaus weckte Träume. Ich saß auf der Terrasse und blickte über den sonnenbeschienenen Rasen auf eine Sitzgruppe mit einer alten Sonnenuhr. Die idyllische Sitzgruppe war im Halbkreis umrahmt mit halbhohen Büschen. Weiter schweifte mein Blick zu einem kleinen See. Ich genoss die Ruhe und fühlte mich herrlich entspannt.

Christine trat auf die Terrasse. Wir kannten uns seit gut 10 Jahren. Christine war vom Kind zu einer hübschen jungen Frau herangewachsen. Als sie mich jetzt im Rollstuhl sitzen sah, war sie offenbar erschrocken. Sie wusste nicht so recht, wie sie das Gespräch beginnen sollte. Dann platzte sie heraus: "Belastet es dich sehr, zu wissen, dass du jetzt alt wirst?" Die Frage überraschte mich.

Im Augenblick fühlte ich mich gar nicht alt, eher wie dreißig, denn ich hatte gerade überlegt, dass ich nach Sonnenuntergang an den See laufen würde, um ein kühles Bad zu nehmen. Wenn ich davon träume, dass ich zum See laufe, wohl wissend, dass ich nicht mehr laufen kann, dann bin ich noch nicht alt. Es gibt Tage wie diesen, da entspricht das Alter laut Geburtsschein nicht meinem inneren Alter.

Es stimmt, manchmal muss ich mich bremsen, denn ich bin nun mal keine dreißig mehr. Und es gibt auch mal einen schlechten Tag, dann komme ich mir vor wie die Mutter meiner Großmutter. Doch dann gewinnt das Lachen in mir wieder die Oberhand. Solange ich meine Träume habe, bin ich nicht alt. Das Leben hat mich geprägt. Aber das bedeutet doch nicht, dass ich nun untätig darauf warte, dass auch dieser Tag vorübergeht. Das zeigt doch deutlich, und das spielt sich nur im Kopf ab, nicht das Alter ist ein Problem, sondern die Einstellung dazu.

Deshalb bat ich Christine, sich zu mir zu setzen. „Bitte erzähle mir, was deiner Meinung nach Alter bedeutet“ fragte ich. "Alter, das ist wie Winter. Man legt die Hände in den Schoß und tut nichts mehr, wird vergesslich und merkt nicht, dass man einiges immer wieder erzählt. Ich glaube," sprach sie traurig, "man denkt an das Gehen."

Ich erzählte ihr, dass ich auf eine Frage, was die schönste Zeit im Leben sei, antwortet: "Das ist die Zeit, in der ich gerade lebe."

Heute verstehe ich die Menschen viel besser. Das liegt an den Erfahrungen, die ich machte. Außerdem habe ich meine Erinnerungen. Es sind schmerzende, teilweise aufregende Erinnerungen. Deutlich spüre ich noch das Herzklopfen, weil das Abenteuer eine Spur von Verbotenem hatte. Es gibt aber auch zwei zauberhafte Erinnerungen. Schmunzelnd ergänzte ich "Schmetterlinge spielten hier eine wichtige Rolle. Die würde ich gerne noch einmal erleben. Das Leben ist spannend. Ich habe noch so viele Fragen und fühle mich überhaupt nicht alt. Irgendwann, wenn ich nicht mehr neugierig auf den nächsten Tag bin, erst dann werde ich alt."

Autor: Zwillingsjungfrau

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