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Bertas Baby

Wie fröhlich hatte dieses Jahr begonnen. Geboren und aufgewachsen war Berta auf dem Land nahe der Grenze zu Hamburg. Als sie das Elternhaus verließ, war ihre Ausbildung als Weißnäherin abgeschlossen. Für eine große Gutsanlage erhielt sie ein Empfehlungsschreiben. Nach einigen Probearbeiten wurde sie angenommen. Der neue Arbeitsplatz gefiel Berta, vor allem aber der Sohn der adligen Gutsbesitzer. Er umwarb sie und versprach ihr die Ehe. Sie glaubte ihm und schwärmerisch träumte sie davon, als neues Mitglied in dieser adligen Familie willkommen zu sein. Berta gab seinem Werben nach. Ihr Himmel hing voller Geigen.

Es war ein unvergesslicher Frühling, den Berta erlebte. Jede freie Minute verbrachten die Liebenden gemeinsam. Die heimlichen Treffen mit dem Gutsbesitzerssohn zeigten Folgen. Berta erwartete ein Kind. Ihr Traum von einer Hochzeit zerplatzte wie eine Seifenblase. Die Familie war empört. „Eine Hausangestellte innerhalb der Familie? Diese dumme Berta. Was bildete sie sich nur ein. Die war doch weit unter ihrem Niveau.“ Der Sohn wurde ermahnt, dem Hauspersonal künftig aus dem Weg zu gehen. Berta wurde mit Schimpf und bösen Worten vom Hof gejagt.

Zu damaliger Zeit bedeutete ein uneheliches Kind nicht nur für die junge Frau, sondern auch für die gesamte Familie eine große Schande. Selbst das Kind hatte darunter zu leiden und wurde mit hartem Spott immer wieder gekränkt. Es gab niemanden, der Berta beistand. Ihre streng gläubigen Eltern brachen den Stab über Berta. Ihr Name durfte im Elternhaus nicht mehr genannt werden.

Berta zog nach Hamburg und suchte sich Arbeit, Sie war hochgewachsen, schlank und trug weite Kleider, welche die Schwangerschaft verdeckten. Sie selbst konnte die gesellschaftliche Herabstufung zu einem Straßenmädchen ertragen. Ihrem Kind wollte sie diese Ächtung ersparen. Das Kind einer unehelichen Mutter wurde als Bastard, Bankert oder Hurenkind beschimpft. Für ihr Kind wäre es besser, ein Waisenkind zu sein. Sie musste ihr Baby nur gleich nach der Geburt fortgeben, später würde ihr die Kraft dazu fehlen.

Wenn sie nicht wollte, dass über die Herkunft Ihres Babys Nachforschungen geführt werden, musste sie die Geburt alleine durchstehen. In der großen Hamburger Bibliothek suchte sie nach Fachbüchern, was sie beachten musste. Die Geburt war schmerzhaft, Berta blutete stark. Lange betrachtete sie ihren Sohn, er war wunderschön und das Ebenbild seines Vaters.

Berta beugte sich über eine Kiste, die sie mit alten Wolljacken und eine Decke gepolstert hatte. Sie weinte. Noch einmal sah sie sich in dem kleinen kalten Zimmer um. Das Bett war blutig. Aufräumen konnte sie später. Ihr Mantel war für diese Jahreszeit viel zu dünn. Wieder schaute sie auf die Kiste. Mit beiden Armen trug sie diese durch das Treppenhaus und verließ das Haus. Wimmernd vor Schmerzen und am Ende ihrer Kräfte ließ sie die Kiste in den Schnee gleiten. In diesem Viertel gab es viele Nachtschwärmer. Irgendjemand würde die Kiste finden und sich darum kümmern. Schluchzend wandte sie den Blick ab und ging zurück.

Eines wusste Berta allerdings nicht. Die Straße gehörte zum Revier einer rotbraun getigerten Straßenkatze. Sie hatte kein Zuhause, sie fraß, was auf der Straße lag und schlief, wo sie eine windgeschützte Nische fand. Auf ihrer Suche nach Nahrung entdeckte sie die Kiste, aus der sie leise Töne hörte. Mit den Pfoten grub sie, bis sie das leise weinende Baby entdeckte. Dieses Menschenbaby brauche Hilfe, wie kalt es sich anfühlte. Obwohl die Katze groß und schwer war, sprang sie mit einer erstaunlichen Behutsamkeit in die Kiste und gab dem Baby von ihrer Körperwärme. Immer wieder leckte sie dem Säugling über das Gesicht. Diese große Katze erinnerte sich, wie gut es tat, wenn ihre Mutter ihr zeigte, wie wohltuend Fellpflege war. Doch die Katze brauchte Hilfe. So laut sie konnte, rief sie miauend die Menschen. Es blieben auch einige stehen. Aber die rochen anders als das kleine Würmchen, welchem sie ihre Wärme gab. Wollte ein Mensch nach dem Baby greifen, verteidigte sie es fauchend mit ausgefahrenen Krallen.

Berta hörte den Lärm. Sie ahnte Schlimmes. So schnell sie konnte, rannte sie auf die Straße und zur Kiste. Die Katze hob den Kopf, um erneut das Baby zu beschützen. Sie schnupperte an der Hand von Berta, sie roch genauso wie das Baby. Jetzt war alles gut. Berta nahm ihren Sohn aus der Kiste, während die Straßenkatze ihr schnurrend um die Beine strich. Sie versprach den herumstehenden Menschen, gleich morgen würde sie zur Polizei gehen und alles melden. Auch die Katze sollte bei Berta ein Zuhause bekommen.

Ein Reporter hörte die Geschichte und veröffentlichte sie. Eine Zeit lang musste Berta die Geschichte immer wieder erzählen. Auf diese Weise hörte auch Ernst Becker von der Katze, die ein Baby vor dem Erfrieren gerettet hatte. Das ist übrigens gar nicht so selten. Dazu suchte er Berta auf. Sie gefiel ihm. Nachdem die zwei sich näher kennengelernt hatten, versprach er, den Sohn zu adoptieren, wenn sie ihn heiraten würde.

Ich hätte die Geschichte wohl nie erfahren, hätte ich nicht in einem alten Portemonnaie eine zerfledderte und kaum noch lesbare Pressenotiz gefunden. Mutti sträubte sich anfangs doch dann erzählte sie mir alles. Berta war meine Großmutter.

Autor: Zwillingsjungfrau

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