Für Liebe ist es nie zu spät
Das eintönige Geräusch der Räder des Zuges ließ sie ein wenig einnicken und in Gedanken eilte sie dem Zug voraus. In einigen Stunden würde sie den Zug verlassen und in seine Arme sinken. Der Gedanke daran zauberte ihr eine leichte Röte ins Gesicht. Das Wiedersehen nach drei Monaten entfachte die Sehnsucht.
Die schöne Landschaft zog am Fenster vorbei und wurde hügeliger, ein Fluss, Weinberge – so ganz anders als in Berlin. Aber Maria genoss es und zählte die Stunden bis zum Wiedersehen mit ihrem Georg.
Die angenehme Wärme der Sonnenstrahlen ließ sie entspannen, sie lehnte sich in die Polster zurück und dachte daran, wie es begann. Da war dieser Artikel in der Zeitung, wo jemand seine Kindheit in Schlesien beschrieb und während sie es las kam es ihr so vor, als ob es ihre eigene Kindheit war. So echt, so identisch, wie in diese Zeit versetzt.
Nach einigem Zögern schrieb sie dem Verfasser einen Brief und bekam auch Antwort. Über die gleichen Kindheitserinnerungen, gleichen Ansichten und Wünsche kamen sie sich näher und es entwickelte sich eine rege Korrespondenz. Irgendwann ging man zu Telefonaten über und verstand sich immer besser. Dann kam der Moment, wo die beiden über einen gegenseitigen Besuch nachdachten und Georg entschloss sich, nach Berlin zu reisen.
Als Maria an den Moment dachte, als sie sich zum ersten Mal gegenüberstanden, huschte ein Lächeln über ihr Gesicht. Er stieg aus dem Zug, kam mit einem von der Fahrt leicht lädierten Rosenstrauss lächelnd auf sie zu und sagte: „Du musst Maria sein, genauso habe ich Dich mir vorgestellt.“
Von dem Moment an war es um die beiden geschehen. Seitdem versuchen sie, sich in dreimonatigen Abständen zu sehen. Entweder in Berlin oder in Frankfurt. Sie sind so verliebt und wissen nicht, wie lange sie dieses schöne Glück halten können, aber sie versuchen es.
Denn sie sind beide 90 Jahre alt.
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