Strafe mit Aussicht
Mit etwa 15 Jahren war Hannes schon ein kräftiger Bursche, und wenn es zwischen ihm und seiner Mutter Helene zu Streit kam, war einiges los.
Eines Abends krachte es wieder einmal und drohte zu eskalieren. Kurzerhand packte er die zierliche Helene und beförderte sie mit Schwung oben auf den Küchenschrank. Dort saß sie nun hilflos und ließ die Beine baumeln. „Hannes, das kannst du doch nicht machen“, protestierte sie. „Hol mich hier runter, die Bratkartoffeln brennen an.“ Aber Hannes blieb verschwunden.
Aus dieser Perspektive war der Ausblick über die Küche für Helene eine Art Neuland. Himmel, war es hier oben staubig. Hinter sich entdeckte sie einen Holzlöffel, den sie seit langem vermisst hatte. Gegenüber, auf dem Regal, schimmelte ein vergessener Apfel vor sich hin, und oberhalb der Gardinenstangen hingen dichte Spinnweben.
Da ging plötzlich die angelehnte Tür zum Stall auf und Schwein Luise, das dort wohnte und zu dem Helene eine besondere Beziehung pflegte, spazierte, wie jeden Abend, zur Küche herein. Normalerweise drehte Luise dann eine Runde unter dem Küchentisch hindurch und lief wieder zur Tür hinaus, um gewissermaßen ihrem Frauchen „gute Nacht“ zu sagen. Aber an diesem Abend war eben alles anders.
Luise blieb unter dem Tisch hängen und grunzte ungehalten. Als sie weiter wollte, nahm sie den Tisch auf ihrem Rücken mit. „Haannesss!“ schrie Helene, „die Luise sitzt fest!“ Da war er plötzlich wieder, ihr Hannes, mit einem breiten Grinsen. Er beförderte seine Mutter wieder auf den Küchenboden und befreite den Tisch von Luise und Luise vom Tisch.
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