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Rendezvous im Café Teatime

Nur noch zwei Monate bis ich nach Deutschland zurückkehren würde.
Zeit, um vielleicht noch ein wenig Geld zu verdienen, denn ich träumte von dem wunderschön weichen und warmen Mantel, den ich im Schaufenster eines Geschäfts in der Bondstreet gesehen hatte.
Ich hatte sogar gewagt, dieses exquisite Geschäft zu betreten, um das teure Stück anzuprobieren, ohne überhaupt zu wissen, ob ich mir diesen Mantel jemals würde leisten können. Liebevoll hatte meine Hand den samtig weichen Stoff gestreichelt, so als wäre es Minou, die Katze in Ronalds House. Die Verkäuferin hatte verständnisvoll gelächelt und das schöne Stück wieder zurück in die Vitrine gehängt.

Big Ben und House of Parliament in London über der Themse

Fast jeden Tag studierte ich nun die Anzeigen im Kasten an der Straßenecke, bis mir eines Morgens eine Anzeige förmlich ins Auge sprang:

„Junge Dame mit Deutschkenntnissen für allgemeine Büroarbeiten gesucht. Telefon Nr. 737373“
Ja, genau, das ist es, dachte ich und marschierte in die nächste Telefonzelle.
Es meldete sich eine Männerstimme mit unverständlichem Namen:
„Bitte, Sie wünschen?“ Ich bezog mich auf die Anzeige und wurde prompt zu einem Vorstellungsgespräch gebeten.
„Okay, Morgen, um 15 Uhr im Café Teatime in der Bayswater Street“, sagte die Stimme freundlich.
Das war nicht weit und konnte gut zu Fuß erreicht werden.

Ich machte mich so schick wie möglich und erschien pünktlich im vereinbarten Treffpunkt.
Außer der Bedienung hinter dem Tresen und einer alten Frau, die gelangweilt in ihrem Tee rührte und aus dem Fenster schaute, saß dort nur ein Mann mit pechschwarzem Haar. Ein Bild von Mann.
Er musste mir angesehen haben, dass ich diejenige war, die er erwartete, denn er erhob sich sofort und kam mir entgegen. Er bat mich an seinen Tisch, auf dem neben seiner Teetasse ein aufgeschlagener Ordner lag. Er fragte lächelnd nach meinem Namen und wollte wissen, was ich augenblicklich in London mache.
„Ich bin Deutsche, habe hier Englisch gelernt und meine beiden Cambridge-Examen bestanden. Aber nun brauche ich noch einen Job“.
Er schrieb etwas in sein Notizbuch, stand auf und entschuldigte sich.
„Ich muss mal eben telefonieren.“

Währenddessen blätterte ich in dem Ordner, der prall gefüllt war mit handschriftlich ausgefüllten Formularen. Auf jedem Formular klebte das Foto eines Mädchens, darunter Name, Wohnort, Geburtsdatum und Nationalität. Außerdem Haarfarbe und Körpermaße wie Größe, Oberweite, Taillen- und Hüftweite.
Ich stutzte. Was? Haarfarbe, Körpermaße? Was soll denn das? Das alles war mir mehr als suspekt. Ich wurde ziemlich nervös.
Und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, sprang ich auf, griff nach meiner Tasche und verließ fluchtartig das Café.
Ich bog in die nächste Seitenstraße ein, lehnte mich an eine Hauswand und schnappte nach Luft …


Naja, immerhin hatte sich der Traum vom teuren Mantel dann doch noch erfüllt, dank eines Abendjobs in einem Edelrestaurant in Kensington.

Autor: fleurbleue

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