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Eine Frau von unschätzbarem Wert

Obwohl die Geschäfte seit einiger Zeit wieder geöffnet haben und zum Stöbern einladen, hatte ich eigentlich gar keine Lust dort mit Maske vor Mund und Nase herum zu bummeln. Andererseits aber drängte es mich, mich endlich nach einer neuen Bluse umzusehen. Zwar hatte ich ein paar Schuhe online erstanden, aber andere Kleidungsstücke auf diese Weise zu erwerben, ist zu riskant, denn auf jeden Fall möchte ich sie vor dem Kauf anprobieren.
Trotz „atemberaubender“ Maske suchte ich also das vertraute Kaufhaus auf, das mich schon seit Jahren immer angezogen hatte. Angezogen im doppelten Sinn.

Ich staunte über das riesige Angebot, besonders an Blusen. Klar, die Lager dieses Hauses müssen nach der langen Corona-Abstinenz übervoll sein, dachte ich. Und nun muss alles möglichst schnell und preiswert raus, bevor schon wieder die Herbstware ins Haus flattert. Tatsächlich waren die meisten Schätzchen massiv reduziert. Das konnte mir nur recht sein. Gleich zweimal wurde ich fündig, nahm die schönen Teile an mich und schlenderte neugierig weiter.

Und während ich so herum schnüffelte, meldete sich wieder einmal das allseits bekannte Bedürfnis, das stille Örtchen dieses Hauses aufzusuchen. Im Gegensatz zu früheren Zeiten, als dieses Örtchen einem Taubenschlag glich, war es hier heute auffallend still.
Und - ich konnte es nicht fassen, denn ich traf auf die Frau, die dieses Örtchen schon seit Jahrzehnten bewacht und pflegt, denn sie gehört hier gewissermaßen zum Inventar.
Eigentlich müsste sie in Rente sein, aber vielleicht ist sie auf jeden Euro zusätzlich angewiesen, dachte ich. Sie übt einen Beruf aus, der eigentlich hoch bezahlt werden müsste, ein Beruf von ungeheuer weitreichender Bedeutung. Gäbe es ihn nicht, liefen in unserem Land noch mehr Menschen mit ruhelosen und gequälten Gesichtern herum.

Wenn ich all die Jahre zurück denke, standen im Vorraum, neben der Schale fürs Kleingeld, immer ein paar frische Blumen, bis mir eines Tages aufgefallen war, dass eine einzelne Rose verblüht über den Rand der Vase hing. Ich hatte ein Geldstück in die Schale gelegt und beschlossen, im Blumenladen gegenüber eine frische Rose zu erstehen und noch einmal zurückzukommen.
Selten hatte ich so überrascht strahlende Augen gesehen.
Aber nun, nach all den Jahren, stand dort nur noch ein künstliches Blümchen auf dem Tisch, und stumm legte ich mein Geldstück in die kleine Schale.
Vielleicht lag es ja an der Maske, dass die ziemlich gealterte Frau heute auch nicht gesprächig war, aber ihre Augen strahlten freundlich, fast wie in früheren Zeiten.
Mit ihrem Lappen in der Hand geleitete sie mich wieder in das noch stillere Örtchen.
Dann wie gewohnt, wischwisch und weg, „Bitteschön, meine Dame.“

Schälchen mit Kleingeld und Blume in einer Vase

Autor: fleurbleue

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