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Eine Bank im Schatten

Seit eh und je ist es in der Heimat meines Mannes üblich, Hochzeiten, runde Geburtstage und ähnliche Anlässe mit Riesenaufwand und einer Menge von Gästen zu feiern. Und nun waren wir wieder einmal zur Feier eines 80. Geburtstages eingeladen.

Der Saal platzt aus allen Nähten. Erdrückende Enge und ein Geräuschpegel, der seinesgleichen sucht. Verwandte, Freunde und Nachbarn, dazwischen herumkurvende Kinder, sage und schreibe 120 Gäste. Bis auf drei oder vier Personen sind mir all diese Menschen fremd. Mein Schatz allerdings erkennt viele von ihnen wieder und ist bereits im Gespräch vertieft. Schließlich handelt es sich ja um seine Verwandtschaft. Ich stehe mehr oder weniger interessiert daneben, gebe Händchen, nicke und lächele, pflege den obligatorischen Smalltalk.

Nach der Begrüßungsansprache und einem Chorgesang wird das Essen aufgetragen. Und was für ein Essen. Köstliche Düfte machen sich breit, doch mein Appetit hält sich in Grenzen. Der Geräuschpegel sinkt, Schüsseln und Platten werden herumgereicht, begleitet vom gedämpften Klappern des Bestecks. Man ist beschäftigt.

Aber die Hitze im Raum wird immer unerträglicher. Klimaanlage Fehlanzeige. „Die Herren können gerne das Jackett ablegen“, verkündet der Gastgeber. „Die Damen auch? Vielleicht oben ohne?“, ruft jemand. Hier und da die Spur eines verlegenen Lächelns. Aber nur wenige Herren nehmen das Angebot an. Selbstdisziplin wird hier großgeschrieben.

Da steigt mir plötzlich die Hitze zu Kopf, mir wird schwindlig. Schwankend stehe ich auf. Nichts wie raus hier. Der Nachtisch ist ohnehin nicht mein Ding, und bis zum Kaffee ist ja noch reichlich Zeit.

Bank auf Friedhof

Draußen brütet die Sonne gnadenlos. Von Schatten keine Spur. Etwas weiter, auf der anderen Straßenseite, zieht sich eine lange Mauer hin. Dahinter die Spitzen einiger Zypressen. Vielleicht ein Friedhof? Ich wanke hinüber. Und tatsächlich. „Dies ist ein Ort der Stille“, steht auf einer Tafel. Ist es aber auch ein Ort der Kühle? Ich gehe die langen Reihen der Gräber entlang. Nirgends Schatten. Wahnsinn. Da, eine Bank! Ach nein, was nützt eine Bank in der prallen Sonne? Und während ich mich langsam weiterschleppe und meinen Blick über die Gräber gleiten lasse, denke ich unwillkürlich: „Ihr alle liegt hier in der Kühle der Erde, spürt weder Hitze noch Kälte, habt alles überstanden. Ach, läge auch ich …“

Weiter hinten stehen ein paar Bäume. Ich beschleunige meine Schritte in der Hoffnung, dort ein passendes Plätzchen im Schatten zu finden. Und sei es auf einem Grabstein. Da - dort steht sie tatsächlich, die Bank im Schatten, direkt an einem Grab. Völlig erschöpft lasse ich mich nieder, lege das schmerzende Bein hoch und blinzele den Grabstein neben mir an:
Jakob Steinkühler
Geb. 16.8.1924
Gest. 25.3.2008
Steinkühler --- Kühler --- Kühle Stille…

Autor: fleurbleue

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