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Der neue Frühjahrshut

Wer kennt sie nicht, die Vielfalt der royalen Hüte in London? Mal abgesehen vom traurigen Anlass der Beerdigung von Queen Elisabeth, konnte man die Hutkreationen im TV kürzlich wieder bewundern. Auch schon bei früheren Gelegenheiten waren die ungewöhnlichen Kopfbedeckungen der royalen Damen immer ein besonderes Highlight.

Es blieb natürlich nicht aus, dass mich dieser Anblick auch an die Kreativität der Frauen nach dem Ende des Krieges erinnerte. Denn zu dieser Zeit war die Kreativität schier grenzenlos. So auch bei meiner Mutter.
Während der russischen Besatzung in Erfurt konnte sie die Nähmaschine unserer verstorbenen Vermieterin benutzen und zauberte für eine junge Russin sogar ein Kostüm aus der Uniform ihres Mannes. Als Gegenleistung erhielten wir jede Menge Lebensmittel.
„Du müssen mehr essen, Du sein weiß und dünn“, bekam ich von Anuschka zu hören, wobei sie mir eine Scheibe Brot mit unglaublich dick geschmierter Butter reichte.
Später dann durfte ich bei einer Anprobe des Kostüms dabei sein und sah ihren üppigen Busen, der mit im Nacken verknoteten Bändern hochgehalten wurde. Beim Gedanken daran muss ich noch heute lachen.

Es war klar, dass nach diesen Kriegsjahren alle Gedanken an schöne Kleidung und vor allem an schicke Hüte abhanden gekommen waren. Die Frauen hatten fast zu jeder Zeit und bei jeder Gelegenheit nur Kopftücher getragen. Beim Passieren brennender Häuser sogar Kochtöpfe, damit die Haare kein Feuer fingen.

Aber nun war ein neuer Frühling angebrochen, der Frühling 1946.
So war meine Mutter neuerdings pausenlos damit beschäftigt, aus gefundenen oder geschenkten Klamotten für sich und uns Neues zu nähen. Teils per Hand, teils auf einer geliehenen Nähmaschine.
Eines Tages lag sogar Krepppapier in mehreren Farben auf dem Tisch. Noch heute ist mir schleierhaft, woher sie das bekommen hatte.
Daraus schnitt sie schmale Streifen, von denen sie jeweils drei mit einer Stecknadel an einem Kissen befestigte und zu Zöpfen zusammen flocht. Diese Zöpfe nähte sie längs gegeneinander, bis sich das Ganze zu einer runden Form biegen ließ und zunächst wie eine Mütze aussah. Durch weiteres Biegen nach außen entstand eine richtige Krempe. Aus einem Stück Stoff schnitt sie einen schmalen langen Streifen, den sie als Schleife drum herum band.
Dann setzte sie sich ihre Kreation auf den Kopf, hielt sich das Stück eines zerbrochenen Spiegels vor die Nase und nickte zufrieden. Diesen Anblick werde ich nie vergessen.
Ihre Freundinnen und Bekannten waren derart beeindruckt, dass Mutter solche Hüte nun auch für andere anfertigen musste.
Ein durchaus lukratives Geschäft.

Nur – diese Kreationen hatten einen einzigen Nachteil: Einen Regenschauer hätten sie nicht überstanden …

Zeichnung Frau mit Hut

Autor: fleurbleue

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