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Das Mehrzweckgrab

Vor ein paar Tagen erzählt mir eine liebe Bekannte von FA, dass ihr Enkel sich zum Geburtstag ein Aquarium mit Zierfischen wünscht. Er habe so ein Glasgefäß bei einem Schulkameraden gesehen und fasziniert zugeschaut, wie die verschiedenfarbigen Fischlein sich unter kleinen Steinen und Pflanzen versteckten oder hindurch schwammen. In diesem Moment fiel mir eine Begebenheit aus meiner fernen Vergangenheit ein, die ich der Freundin erzählte und die ich hier nieder schreiben möchte.

Ausgerechnet an meinem 5. Geburtstag lag ich mit Fieber und Mandelentzündung auf der Couch im Wohnzimmer und wartete auf Opa, der zu Besuch kommen würde. Ich fand das recht ungewöhnlich, weil Mutter gesagt hatte, dass auch er sehr krank sei. Ob Opa mir ein Geschenk mitbringen würde, überlegte ich?

Zwei Goldfische

Und dann kam er. Mit beiden Händen umfasst trug er ein mit Wasser gefülltes Glasgefäß, in dem zwei Goldfische schwammen. „Das sind Julchen und Lieschen“, sagte er und stellte das Glas auf den Tisch. „Sie wollen dir zum Geburtstag gratulieren.“

Ich war erstaunt über dieses seltsame Geburtstagsgeschenk und wusste nicht recht, ob ich mich darüber freuen sollte. Außer in meinem Bilderbuch hatte ich noch nie Fische gesehen.
Als Opa mir ein paar Tütchen mit Fischfutter gab, sagte er, ich müsse den Fischen täglich davon geben.

Aber das traute ich mir nicht wirklich zu und wollte das Füttern meiner Mutter überlassen. Vielleicht war das ja ein Fehler, denn nach ein paar Tagen schwamm Lieschen plötzlich auf dem Rücken, und nach kurzer Zeit hatte auch Julchen sich fürs Rückenschwimmen entschieden. Sie waren tot. Was nun?

Energisch und kurz entschlossen, wie meine Mutter nun einmal war, nahm sie das Aquarium, kippte die Fische samt Wasser ins Klo und zog ab. Im Strudel des Wassers vollführten sie noch eine Drehung und waren im Nu verschwunden.
„Das war die Beerdigung“, sagte Mutter trocken. Stumm und ratlos stand ich daneben und dachte über das Wort „Beerdigung“ nach. Fragen stellte ich nicht.

Erst viele Jahre später gestand Mutter mir kleinlaut, dass sie damals, in den turbulenten Kriegstagen mit fast täglichem Sirenengeheul, alles andere im Sinn gehabt hatte, als Fische zu füttern und froh gewesen war, sie aufgrund der „Sterbehilfe durch Unterlassen der Fütterung“ los geworden zu sein.

Opa starb kurze Zeit später und hat nie von der ungewöhnlichen
Beerdigung seiner Goldfische erfahren.

Neben seiner eigentlichen Bestimmung diente das Klo aber nicht nur als Begräbnisstätte für Goldfische, sondern erwies sich auch bald als Fundgrube für verschluckte Holzperlen und Pfirsichkerne. Um diese aufzuspüren, benutzte Mutter das Stocheisen vom Küchenherd. War sie fündig geworden, atmete sie erleichtert auf, denn welch unangenehme Folgen hätten entstehen können, wäre ein solcher Fremdkörper auf seinem Weg durch den kindlichen Bauch hängen geblieben.

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