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Das Geständnis

Nach anderthalb Jahren in London war Lena kurz vor Weihnachten nach Hause zurückgekehrt. Es fiel ihr schwer, sich zu Hause wieder einzugewöhnen, und nun saß sie nachdenklich im Wohnzimmer und starrte in die vor ihr stehende brennende Kerze.

Schwarz-Weiß-Bild einer Frauenhand mit Zigarette

Mutter hatte sich eine Tasse Kaffee aus der Küche geholt und ließ sich im Sessel gegenüber Lena nieder.
Sie wirkte angespannt und zündete sich eine Zigarette an, wollte etwas sagen, ließ sich aber noch Zeit. Lena fühlte sich unbehaglich. Was mochte bloß los sein?

Mutter machte einen tiefen Zug an der Zigarette und dann:
„Du bist jetzt erwachsen genug, um das zu wissen, was ich dir jetzt endlich erzählen muss.

In gut katholischen Familien mit vielen Kindern war es schon immer erwünscht, dass ein Sohn Priester und eine Tochter Ordensfrau wird. So war das auch bei uns. Ich war als Älteste ausersehen, ins Kloster zu gehen, und wie du dir denken kannst, stand mir danach überhaupt nicht der Sinn. Mein Vater, dein Opa, versuchte es mit Strenge, ich wurde regelrecht in die Kirche gezwungen. Als ich beim Schwänzen der Maiandacht erwischt wurde, bekam ich Prügel.“
Lena war fassungslos.
„Im Grunde war Vater ein beliebter und gutmütiger Mensch, der vor allem den Schwestern im Kloster nebenan half, wo er nur konnte.
Fast ständig war Mutter schwanger. Außer uns sieben hatte sie noch drei Fehlgeburten. Was die Verantwortung für die jüngeren Geschwister betraf, wurde ich als Älteste natürlich in die Pflicht genommen und war immer schuld, wenn etwas schief lief. Auch dann handelte Vater nach der Devise: Wer seine Kinder liebt, der züchtigt sie.“

Sie nahm einen Schluck Kaffee, zog an ihrer Zigarette und ließ den Rauch mit leicht gespitzten Lippen langsam entweichen. Es kam Lena vor wie ein tiefer tonlos ausgehauchter Seufzer.
„Die Stimmung war oft gereizt, sodass ich aufsässig wurde und die Situation sich mehr und mehr verschlimmerte. Auch als ich bereits 20 war und abends später als 10 Uhr heimkam, stand Vater an der Tür und empfing mit Schimpfen und Ohrfeigen.
Obwohl ich bei der Versicherungsgesellschaft ein gutes Gehalt bekam, blieb mir davon nur ein kleines Taschengeld, denn der größte Teil war für die Finanzierung des Theologiestudiums von Bruder Fritz bestimmt.

Ich hatte zwei nette Kollegen, Jupp und Johann. Im Gegensatz zu Jupp war Johann täglich im Außendienst und nur selten im Büro. Da Johann und ich uns sehr mochten, trafen wir uns hin und wieder nach Feierabend und hatten ganz beiläufig schon einmal von Heirat gesprochen. Aber da gab es ein riesiges Hindernis, Johann war evangelisch. Es war völlig ausgeschlossen, dass ich ihn mit nach Hause brachte, ganz zu schweigen von der Einwilligung meiner Eltern in eine Heirat.“
Sie drückte die Zigarette im Aschenbecher aus. Beim Anzünden der nächsten bemerkte Lena, dass ihre Hand zitterte. Sie konnte nicht mehr hinsehen und betrachtete verlegen ihre Hände im Schoß. Die Geschichte erschütterte sie immer mehr.
„Als Johann und ich auf Dauer keine Lösung sahen, trafen wir uns nur noch ganz selten. Aber ich wollte unter allen Umständen zu Hause raus, und das war nur möglich durch eine Heirat. Natürlich war mir nicht entgangen, dass auch Jupp schon immer ein Auge auf mich geworfen hatte. Ich fand ihn lieb und nett, aber ihn heiraten? Trotzdem lud ich ihn eines Tages ein, irgendwie aus Protest, und stellte ihn meinen Eltern vor. Er war katholisch, spielte in der Kirche die Orgel und leitete einen Kirchenchor. Mit diesem Mann waren meine Eltern sofort einverstanden. Wir heirateten.
Johann erzählte mir später, er habe aus einiger Entfernung zugeschaut, als ich mit Jupp aus der Kirche kam. Er habe geheult wie ein Schlosshund.
Nach einiger Zeit heiratete Johann ebenfalls. Damit waren zwei Schicksale besiegelt.
Und trotzdem traf ich mich mit Johann heimlich von Zeit zu Zeit und das bis zum heutigen Tag. Das weißt du.“
Sie nahm einen Schluck Kaffee und sah zum Fenster hinaus in die Dunkelheit.
Das alles nun hatte Lena aus der Fassung gebracht.
„Mami, wie furchtbar“, stöhnte sie hilflos, sank neben ihr auf die Knie und legte ihre Arme um Mutters Hals.
Noch einen Moment verweilte sie, schlich dann in ihr Zimmer und legte sich aufs Bett. Nun verstand sie auch Mutters damalige Bemerkung:
„Wer weiß, wofür es gut ist, dass Jupp nicht mehr aus dem Krieg zurückkehrt.“
Jetzt endlich kannte Lena auch andere Zusammenhänge, konnte im Nachhinein vieles verstehen, und für Mutter mochte es eine Erleichterung sein. Würde vor dem Hintergrund ihres Geständnisses Lenas abgrundtiefer Hass gegen Johann verschwinden? Vielleicht. Aber sicher nicht von heute auf morgen.

Autor: fleurbleue

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