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Tod eines Maikäfers

Frei nach Henry Millers dramatischem Stück Tod eines Handlungsreisenden oder im Original Death of a Salesman.


Leider muss ich heute von einer Mordtat berichten, welche sich in unserer Wohnung abgespielt hat.
Sicher habt ihr zu Hause ein Schränkchen, in dem ungesunde Lebensmittel gelagert oder vor Zugriffen von Fremden bzw. unbefugten Kinderhänden geschützt, versteckt werden müssen. Vor allem um Kinder vor der bösen drohenden Karies und den daraus folgenden Zahnbohrungen zu beschützen.

Im Frühjahr um diese Zeit, zwischen Mai und Juni, hatte ich per Zufall in diesem Schrank der süßen, aber verbotenen Früchte aus dem Garten Eden einen großen und fetten Maikäfer entdeckt. Er lag dort friedlich schlummernd, seine schokoladenbraunen Flügel eng an den Körper angelegt und ließ nur ab und zu ein zufriedenes Brummen hören.

Einige Tage später, ich wollte mir verbotenerweise zu einem Espresso einen angeblich zuckerfreien Keks mopsen, stellte ich mit Entsetzen fest: Dem dicken Maibrummer hat jemand die schokoladenbraunen Flügel bei lebendigem Leibe ausgerissen und das Tier brummte nicht mehr, selbst wenn ich es mit den Fingern anstupste. Er muss an seinen Verletzungen sein Leben ausgebrummt haben.

Das erinnerte mich an meine Bubenzeit, als jugendliche Unholde solchen Käfern die Flügel ausrissen. Aber zu dieser Zeit befanden sich in unserer Wohnung nur Erwachsene, bestehend aus meiner Wenigkeit und einer anderen – Vieligkeit genannt. Sagen wir weibliche Übermacht dazu.

Auf einem weißen Totenbett gelagert, präsentierte ich den Leichnam des so grausam gemeuchelten Brummers, dieser einzigen Mitbewohnerin unseres Etablissements und mit einer traurig schluchzenden Stimme fragte ich meine Vieligkeit: „Wer, sag mir an? Wer hat solch Grausames getan?“, und weiter: „Wer hat diesem unschuldigen Tierchen die Flügel ausgerissen, um sie wahrscheinlich heimlich zu verzehren?“
Meine Vieligkeit schwieg und sagte kein Wort, aber über ihr Gesicht huschte ein hämisches Grinsen.

Um die weitere Schändung des so furchtbar Getöteten bis zu seiner feierlichen Beisetzung aufzuhalten, bettete ich ihn, auf seinem letzten Lager hingestreckt, in den Kühlschrank. Ich hatte im Garten unter einem Holunderstrauch ein kleines Grab ausgehoben, um ihm, dem geschändeten Brummer, wenigstens ein ordentliches Begräbnis zu gewähren und wollte seine kleine Leiche andern Tages abholen, da stellte ich mit Entsetzen fest: Der Leichnam war aus dem Kühlschrank verschwunden.

Sofort hatte ich die Vieligkeit unter Verdacht. Diese aber lachte nur schauerlich und meinte: „Es wird der Heilige Geist gewesen sein“. In ihren Mundwinkeln entdeckte ich kleine braune Spuren.

Spätestens jetzt wusste ich, ich lebte mit einer Kannibalin zusammen.

Schokoladenmaikäfer

Autor: Fiddigeigei

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