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Novembergedanken

Lese ich doch neulich einen Ausspruch von Voltaire: „Da es sehr förderlich für die Gesundheit ist, habe ich beschlossen, glücklich zu sein.“

Na, dachte ich, der Mann hat gut reden. Nach dem Tod meines Goldstücks hatte ich den Eindruck, nie wieder glücklich sein zu können. Als ob allein der Entschluss zum Glücklichsein ausreicht, mich von meiner tiefen Trauer zu befreien, den Kummer aus meinen Gedanken zu verbannen. „Er geht seinen Weg“, sagte der Arzt als er im Sterben lag. Dann trat mein Goldstück seine letzte Reise an.

In letzter Zeit hatte er viel Hilfe nötig. Dreimal wöchentlich mit ihm zur Dialyse, ein offenes Bein versorgen, viele Handreichungen bei täglichen Verrichtungen, die er alleine nicht mehr bewältigen konnte. Jetzt sind meine Tage leer. Zum Glück habe ich keine Langeweile, denn ich kann mich beschäftigen, aber ich sehe keinen Sinn darin.

Die Einsamkeit ist schwer zu ertragen. Da ist keiner, der mir sagt, wie der Film ausgegangen ist, wenn ich vor dem Fernseher einschlafe. Keiner, vor dem ich mich wichtig machen kann, wenn ich Günter Jauchs Fragen bei „Wer wir Millionär?“ richtig beantworten zu können glaube.

Ich habe die Uhr angehalten, weil das Ticken, abends wenn ich alleine da sitze, mir die grausame Stille erst recht bewusst macht. Tatort im Fernsehen ansehen – völlig unmöglich. Ich will keine Toten sehen.

Neulich, als ich ein ganz besonders Stimmungstief hatte, kam unerwarteter Trost aus einem Buch. Ich las ich die Worte „Jeder Tag ist es wert, gelebt zu werden.“ Seitdem bessert sich mein Zustand; allmählich kommt mein Lebensmut zurück, der Wille, mich nicht unterkriegen zu lassen. Da sind die Kinder und Enkelkinder, die mir das Leben lebenswert machen. Manchmal gibt es sogar ganz unerwartete Glückmomente, so, als an meinem Geburtstag sein Handy klingelte, das ich jetzt benutze, weil meines defekt ist. „Edda Geburtstag“ stand dort als Erinnerung. Ich betrachtete es als seinen Geburtstaggruß aus dem Jenseits und freute mich. Da sind die wunderbaren Erinnerungen an schöne Reisen, die ich mit meinem Goldstück unternommen habe. Ganz besonders freue ich mich darüber für meinen Mann, dass er das alles noch erleben durfte.

Aber die kostbarste aller Erinnerungen ist sein letztes Wort, das er sprach. Es erwärmt mein Herz, wenn ich daran denke. „Liebchen“, sagte er zu mir, wenige Augenblicke bevor er für immer die Augen schloss.

Autor: Niagara

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