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Virtuelle Achterbahn

Sie erinnert sich noch genau an seine erste Nachrichten, sie waren total witzig, frisch, und frech, dennoch garniert mit einem gewissen ernsten Unterton.
Schnell verhakten sich ihre Gedanken ineinander, sie spürten beide, das wird keine Eintagsfliege.
Und es begann eine aufregende, jedoch auch schwierige Zeit, weil sie sich weder rasante Steilflüge, noch schwindelerregende Tiefen ersparten. Noch nie erlebte sie solch eine rasante Kraft der Gedanken, Worte verzauberten, waren Seelennahrung. Es gelang ihnen abzuheben in ungeahnte Galaxien, ihre Bekundungen schmückten streichelnde, tanzende, oder auch verletzende Botschaften.
Doch Übermut tut selten gut, weil solch riskante Manöver nicht selten schmerzliche Auszeiten bescherten.

Frau, die sehnsuchtsvoll aus dem Fenster schaut

Jede darauf folgende Funkstille war fast nicht auszuhalten, sie suchten, fanden sich wieder und umarmten heftig ihre atemlosen Beteuerungen.
Sie erinnert sich an manch prickelndes Wortgefecht, und er schickte ihr seine fantastische Musik, ausgewählte einmalige Darbietungen, welche sie sobald die Sterne geweckt, über viel Stunden verzauberte.
Neckten sich gerne mit albernem Geplänkel, jedoch niemals unter ihrer Würde, stolperten über zahlreiche unsichtbare Narben und auch wenn ihre Gedanken nicht in Buchstaben gesperrt, fühlten sie sich nah.
Behutsam öffneten sie ihre Lebensrucksäcke, vertrauten sich lang verborgene, Geheimnisse an.
Hofften, entgegen mannigfaltiger Hindernisse, dass irgendwann wahr wird, was sie heimlich erträumten.
Immer wenn sie ihren PC zum Leben erweckte und seine unvergleichlichen Worte in ihr Herz hüpften, schien die Sonne selbst an gruseligsten Nebelregentagen.
Natürlich antwortete sie ihm sofort, auf jede seiner Nachricht, ihre Gedanken, aufrichtig sehnsüchtig, kunterbunt gekleidet, berichteten, was sie in der Zeit ohne ihn erlebte und noch während sie schrieb, hungerte sie schon nach seiner Antwort.

Zuerst unmerklich, doch immer häufiger mogelten sich graugesprenkelte Sätze in seine Botschaften sie vermisste zunehmend diese liebgewonnene spezielle Ironie, verspürte Angst, welche beklemmend ahnt... doch nichts weiß.
Um sie nicht zu beunruhigen, antwortete er auf all ihre Fragen stets geschickt ausweichend. Nur allzu gerne wollte sie es glauben dass es nichts Ernstes sei, welches seinen Alltag trübte.
Wie tapfer er in Wirklichkeit war ,erfuhr sie dann, als sie ihn spontan, ohne sein Wissen, im Krankenhaus besuchte. Hals über Kopf nahm sie den Zug in die fremde Stadt und wenn es auch kein schöner Anlass war, so durften sie sich endlich einmal in die Augen schauen, und der Moment, als ihre Hand in der seinen ruhte, bleibt unvergesslich, doch gleichzeitig war diese Berührung ein stummer Abschied.

Es begann eine düstere Zeit für ihn, trotz OP, trotz Reha, es gab kein Licht am Ende des Tunnels. Und er schrieb ihr immer noch nicht, wie es wirklich um ihn stand, natürlich machte sie sich Sorgen, gleichzeitig konnte und wollte sie nicht daran denken ihn zu verlieren.
Sie schöpfte stets Hoffnung wenn sie auch nur ein Krümelchen von diesem besonderen Schalk, welcher ihm zu eigen, in seinen jedoch immer spärlicher werdenden Nachrichten entdeckte.Dann erhielt sie eines Tages seinen allerletzten Brief, doch ließ auch dieser völlig offen, wie krank er wirklich war.

Von nun an konnte sie ihn nicht mehr erreichen, weder telefonisch, noch schriftlich. Es begann eine unerträgliche Zeit der Ungewissheit, lange hegte sie den Wunsch er möge sich wie „Phönix aus der Asche" ganz plötzlich wieder melden. Die Zeit heilt Wunden, sagt der Volksmund dies stimmt wohl, denn als ihr zufällig Albert Camus‘ Satz über den Weg lief:
„in den Tiefen des Winters erfuhr ich schließlich dass in mir ein unbesiegbarer Sommer liegt“, saß sie wieder im Sattel.

Doch dann erhielt sie völlig überraschend zwei Jahre nach seiner letzten Nachricht, eine Mail von einer ihr fremden Person, diese stellte sich als seine Tante vor und wollte wissen ob sie ihren Neffen gekannt.
Gekannt?

Sofort schrieb sie zurück.

Und endlich bekam sie die Gewissheit, wie stark er auch noch zum Ende seines Lebens war. Er hatte alles geregelt nach seinem Willen was nötig, vor dem schon nahen Tod. Ist bewusst in ein Hospiz gegangen, um dort ohne Schmerzen von dieser Welt zu geh'n. Nur drei Monate nachdem sie seinen letzten Brief erhielt, wechselte er hinüber in das für sie (noch) unsichtbare Universum.
Und sollte er jetzt hin und wieder mit den Engeln flirten, schnappt sie sich die grandiose Stimme von Etta James und nimmt ein Bad in seinem Lieblings-Song "At Last ".

Autor: galen

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