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Sonntagsessen

Die Schulferien verbrachte ich meist bei der Familie meiner Patentante Leni. Dort genoss ich eine wohltuende Tagesordnung, welche ich in meiner Herkunftsfamilie vermisste, in der das Wort Ruhe ein Fremdwort war.

In dem beschaulichen Städtchen, dort, wo die Lahn sich mit dem Rhein vermählt und die auch gleichzeitig meine Geburtsstadt ist, verlebte ich manch heitere Ferientage. Vor allem mit meinem Vetter Gerd, ein wohlerzogener Junge, der Stolz seiner Eltern. Dessen Großmutter Katharina besaß ein Bekleidungshaus samt Schuhgeschäft. Die alte Frau war eine imposante elegante Erscheinung, stets akkurat frisiert. Bevor sie morgens als Chefin die Ladenräume betrat, kam eine Friseurin ins Haus, um ihre grauweißmelierten Haare kunstvoll zu einem bauschigen Knoten zu türmen. Ich erinnere mich, majestätisch durchschritt sie die mit dunkelblauem Teppich ausgelegten Geschäftsräume, ihren prüfenden Augen entging nichts.

Mein Ferientag begann gegen halb acht, gewaschen und angezogen saß man gemeinsam am Frühstückstisch, ein jeder hatte seinen Stammplatz, ich als Gast saß rechts neben meinem Cousin, was hin und wieder Anlass gab zu heftigen Ermahnungen. Gerd und ich wussten selbst nicht warum, einer von uns fing an zu kichern und immer wenn wir uns anschauten, steigerte sich dies bis hin zu heftigen Lacherstickungsanfällen.

Abwechselnd wurden wir in die Küche verbannt und wenn wir uns auf dem Flur begegneten, nach je 5 Strafminuten, prusteten wir von neuem los. Nur samstagmorgens gab es die frischen „Schößjen “ vom Bäcker Preussiger, dies waren längliche, dunkelbraun-krosse, himmlisch schmeckende Brötchen. Dazu selbstgemachte Erdbeermarmelade und köstlicher Wurstaufschnitt vom Metzger Schmitze Franz, mit dem mein Onkel schon die Schulbank drückte. Danach beschäftigten wir Kinder uns mit verschiedenen Dingen, mein Vetter lernte zur Freude seiner Eltern Vokabeln und ich besuchte meine Ferienfreundin Brigitte.

Pünktlich um 13:00 Uhr versammelten wir uns dann wieder bei Tisch, meine Tante kochte vorzüglich nach rheinischer Art, in Anlehnung der Künste ihrer Mutter, welche eine begnadete Köchin war. Danach verbummelten wir Kinder den frühen Nachmittag, die drei Eisgroschen verpulvern, Rollschuhlaufen mitten auf der Straße, welche gähnend leer; es war die träge Zeit der „Mittagsruhe." Spätestens um 18:30 Uhr dann wieder vollzählig am runden Esstisch. Das in Scheiben geschnittene rheinisches „Dampfbrot“, welches ein klein wenig dunkler als ein gewöhnliches Weißbrot war, duftete verlockend, verschiedene Sorten Wurstaufschnitt, Käse, Pfeffergürkchen, Silberzwiebelchen, sowie einen nicht zu starken schwarzen Tee. Mein Onkel Josef belegte sich appetitliche Brothäppchen mit Fleischwurst, leckerem Cornedbeef; samt einem dicken Scheibchen Emmentaler obendrauf. Hochgestapelt führte er diesen Leckerbissen zum Munde, legte seinen Kopf tief in den Nacken, damit kein Krümelchen seinem weit geöffneten Schlund entkam.

Nach dem Abendbrot saß man noch ein, zwei Stündchen beieinander. Einen Fernseher gab es nicht, doch wir spielten mit Begeisterung „Mensch ärgere dich nicht". Das Radio, eingebettet in eine stattliche Musiktruhe, unterhielt mit wohlklingenden Melodien.


Der Sonntag war ein besonderer Tag, zum Frühstück gab es selbstgebackenen Kuchen. Mein Favorit war der unvergleichliche Margareten-Apfelstreusel, benannt nach meiner Oma mütterlicherseits, welcher der Ruf einer exzellenten „Gaumen-Freude-Bereiterin“ vorauseilte.
Gegen 09:45 Uhr riefen die Glocken von St. Barbara, in dieser Kirche erhielt ich seinerzeit die Taufe samt diesen zwei ungeliebten Vornamen. Meine katholischen Verwandten besetzten ihre Kirchenbank und meiner Tante Leni gefiel es, unüberhörbar den richtigen Ton verfehlend die jeweiligen frommen Lieder mitzusingen, inbrünstig mit dem Herrn verbunden, bot sie diesem ihre ungeschliffene Stimme dar. Manch andächtiger Christ schaute verstohlen aus den Augenwinkeln zu meiner lauthals „Großer Gott wir loben dich“ schmetternden Tante, und ich schämte mich für sie jedes Mal in Grund und Boden.


Nach dem Besuch der heiligen Messe bereitete sich mein Vetter auf das bevorstehende sonntägliche Ereignis mit seiner Großmutter vor. Er wählte den dunklen Anzug, ein blütenweißes Hemd, blankgewienerte Schuhe, scheitelte exakt sein Haar. Die Ermahnungen seiner Eltern, sich bei Tische vorbildlich zu benehmen, als der einzige zu großer Hoffnung berechtigte Enkel der Großmutter stets ein Grund ungetrübter Freude zu sein. Immer wieder sonntags um 13:00 Uhr besuchten sie das „erste Haus der Stadt“, das Restaurant Zum Pfalzgrafen, um dort fürstlich zu speisen.
Wir Zurückgebliebenen hockten um den häuslichen Esstisch bei Markklößchensuppe, Blumenkohl Hollandaise, Rinderbraten, Salzkartoffeln sowie Schokoladenpudding mit Vanillesoße. Während wir schweigend aßen, malte ich mir aus, wie fantastisch es sei, im vornehmen Ambiente des Pfalzgrafen zu speisen. Auf weißem Leinentischtuch, filigran verziertes Silberbesteck, echte Kristallgläser und kostbares Porzellan, auf dem sich verführerisch duftende Köstlichkeiten befanden.

Rena träumst du? – Die Stimme meiner Tante weckte mich aus meinen Fantasien.
Tante?
Ja Rena?
Ich würde so gerne auch einmal sonntags mit der Frau Fischer in diesem Restaurant fein essen.
Rena du weißt, das geht nicht, du bist doch nicht ihr Enkelkind.

Tisch in einem edlen Restaurant

Autor: galen

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