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Immer wieder sonntags

Zum Glück gelingt mir problemlos das Umblättern der ersten Seite der Sonntagsausgabe, bevor mir der Bio-Saatenmix-Kräcker, großzügig bedacht mit leckerem Hafermilch-Quark auseinanderbricht, in den Ausschnitt schlittert, um es sich dann auf den original Birkenstock gemütlich zu machen.

Denn leider haben meine Arme nicht die Spannweite der Flügel eines Steinadlers, dass ich ohne Probleme locker im Bedruckten stöbern könnte. Vom Filterespresso zu nippen und gleichzeitig mit einem Auge sämtliche Versäumnisse vergangener Legislaturperioden abzuchecken, gleicht einem mittleren Drahtseilakt.

Zeitung und Kaffee auf einem Tisch

Ich falte einfach das Blatt auf halbe Breite, so nähere ich mich locker diesen Privilegierten, welche in englischen Leder-Clubmöbeln bräsig, ihre Arme weit auseinander gelehnt, den Rubriken Chancen, Bildung, Wissenschaft und Beruf gebührende Aufmerksamkeit zollen. Mit ihrem Leckerli jedoch, dem Wirtschaftsteil, befassen sie sich meist erst zur blauen Stunde.

Ich verweile hingegen gern bei den Politikbeiträgen, denn es geht nichts über wohlformuliertes, breitgefächertes Gedankengut. Zum Beispiel: „Der Feind mein Land“ oder „auf nach Afrika“. „Gandhi statt Kapitalismus“, „wo können wir eigentlich noch richtig streiten?“ und „schnell
eben mal die CSU retten“. Beim Lesen des Kommentars "völlig verstrahlte Vernunft" sinken meine Arme ermattet auf die Lehne des treuen Gründerzeitstuhles vom Trödler. Bildungsfern dies Wort bekommt plötzlich Gewicht, denn wie wäre es sonst möglich, dass ich zwar weiß, worum es sich handelt, es jedoch nicht begreife?

Belohne, nein, tröste mich mit einem kräftigen Schluck gekühltem Rote Beete Saft und freue mich auf diese dezent in schwarz gekleideten Anzeigen, welche von der unerbittlichen Endlichkeit des irdischen Lebens zeugen. All diese spektakulären Nachrufe wichtiger unverzichtbarer Zeitgenossen, versehen mit zahllosen Titeln samt Verdienstkreuzen am Bande. Wohlklingende Familiennamen, die das Erdendasein des Verblichenen gleich einem Schutzengel verlässlich begleiteten, sowohl ein Erwähnen selbstlosen Wirkens fürs Seelenheil. Angehörige versichern ihrer tiefen Trauer gebührenden Ausdruck, eskortiert von hehren Worten unserer großen Dichter und Denker.

Dann verblättere ich mich und bleibe plötzlich stecken im Dossier, bestaune diese klugen, mehrfach ausgezeichneten Vordenker sowie eine fantastische Großaufnahme vom einem jetzt wirklich "sauberen 8er BMW". Huch, Blatt 49 des Feuilletons gleitet mir übers rechte Knie, verheddert sich samt der gewagten Behauptung "Die Jugend passt auf" um sanft niedergleitend in meiner kuscheligen rosa Bio-Socke Asyl zu erbitten.

Auch wenn es stets eine nicht unerhebliche gymnastische Geschicklichkeit erfordert, diese 80 x 58 cm Gazette artgerecht zu behandeln, werde ich mich weiterhin tapfer der Herausforderung stellen ... weil das vertraute übersichtliche Heimatblatt trotzig immer wieder sonntags null Bock hat, aufzukreuzen.

Autor: galen

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