Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

Die Ohrenbeichte

Die rheinische Mutter, fest verankert im katholischen Glauben und nicht gewillt diesen zu erschüttern, erduldete immer wieder sonntags am Frühstückstisch die anregenden Diskussionen über diverse Glaubensansichten von Seiten des hessischen Vaters, welcher Zuneigung für Luther hegte.

An diesem Tage wurden wir vier Kinder und die treu zu ihrem Gelübde stehende Gattin von ihm in einem weißen Opel Rekord P1 zum Dom kutschiert. Während seine Familie in den Bänken des Gotteshauses weilte, besuchte er die Hauptpost, leerte das Postfach, schlenderte durchs Städtchen, um dann wieder pünktlich um 11:00 Uhr die Bagage abzuholen. Das Familienoberhaupt mit einer gehörigen Portion Respektlosigkeit gegenüber jeglicher Obrigkeit gesegnet, empfing die kleine Glaubensschar stets mit einer Prise Ironie: „Na, wie war’s denn heute im Zirkus?“

Ich hingegen konnte das, was mein Vater "Zirkus" nannte, beim besten Willen nicht als einen solchen erkennen, denn was ich kurz zuvor erlebte, waren weder fantastische Trapezkünstler noch fauchende Löwen oder etwa Clowns.
Gelangweilt nestelte ich an den nicht gefalteten Händen, vernahm das für mich völlig uninteressante Wortgedonner (auch Predigt genannt) des Herrn Pfarrers, welches von der Kanzel herab über die demütig geneigten Häupter seiner Schäfchen niederprasselte. Schier endlos schien mir die darauf folgende Zeremonie, begleitet von zahlreichen lateinisch gemurmelten Fürbitten.
Erst der Segen, welcher der Gemeinde zum Schluss gewährt, entließ das fromme Völkchen blinzelnd ins frühe Mittagslicht.
Unvergesslich wird mir jedoch die „Ohrenbeichte“ bleiben, denn diese versprach glaubwürdig, die Seele jedes Katholiken zuverlässig von sämtlichen weltlichen Vergehen zu reinigen.

Priester in einem Beichtstuhl

Ganz wichtig aber war, zuvor alle begangenen Sünden aufrichtig zu bereuen, erst dann vertraute ich die Frevel einem Blatt Papier an, dem sogenannten „Sündenzettel“.
Nicht die geringste Verfehlung durfte übersehen werden, man stelle sich solch Notizen ähnlich vor, wie diese auf einer Einkaufsliste, nur dass dort nicht fünf Eier, ein halbes Graubrot, plus einem viertel Salami stand, sondern ich habe genascht, ich habe gelogen, ich habe den Namen Gottes im Zorne ausgesprochen.

Nun muss man wissen, es gab die lässlichen (also leichten) Sünden, und es gab solch furchterregende Todsünden, welche ohne Umwege direkt in die Hölle führten.

Es galt also das komplette Sündenregister raffiniert zu mischen, die unauffälligsten Seelenbeschmutzer eröffneten stets das Ritual, zur Mitte hin konnte ich es wagen eine Todsünde zu platzieren, (zum Glück hatte ich höchst selten eine im Gepäck) zwei, drei, eher unbedeutende Untaten bildeten dann den Abschluss.

In der Hoffnung, die Todsünde würde überhört inmitten zahlreicher harmloser Vergehen, dachte ich mir eine besondere Ablesetechnik aus.
Gleich einem nuschelndem Singsang flüsterte ich halblaut Sünde um Sünde vom Papier, in das mir aufmerksam zugeneigte Pastorenohr, welches kaum zu erkennen im schummrigen Licht des Beichtstuhles.
Ich habe gelogen, ich habe genascht, -- ich war unkeusch -- ich habe den Namen Gottes im Zorne ausgesprochen, ich war ungehorsam, ich habe mit Bärbel gestritten...
„Meine Tochter“, der Beichtvater stutzte, neugierig hob er den Kopf, suchte den Blickkontakt, meine Wangen brannten, „wie hast du *ES getan, allein oder mit anderen?“
Ich befürchtete, die Absolution nicht zu erhalten und entzog mich mit Hilfe einer Notlüge weiterer Befragung.
Beichtete stattdessen „Das Betrachten meines nackten Körpers, welcher im Begriff sich heftig zu verändern begann, führte mich in Versuchung diesen einen Moment unkeusch zu berühren.“
------------------------------------------------------------------------------------
Denn er durfte auf keinen Fall von unseren geheimen Zusammenkünften im Schuppen des alten Herrn Krekel (auch Fichte genannt, wegen dessen Holzbein) erfahren. Henner erklärte dort Ingrid, Rainer, Brigitte und mir, mit Hilfe der bunten, fremdartigen Bilder aus den „verbotenen Büchern“ (die er seinem Vater, eines Hals-Nasen-Ohren-Arztes entwendete) die körperlichen Unterschiede von Mann und Frau.

Höchst interessiert studierten wir sämtliche Merkmale, sahen einen riesigen nackten Frauenbauch, in dem ein Kind heranwuchs, erfuhren endlich warum Jungen anders pinkeln als Mädchen und dass dies mit dem Klapperstorch natürlich ein Märchen sei…


„Meine Tochter“, mahnte der Geistliche, „bewahre deine klaren Augen und halte deinen Körper rein, bete nun zur Buße fünfmal das „Gegrüßet seist du Maria“ und zehnmal ein „Vater unser“, im Namen des Vaters und des Sohnes und des hl. Geistes Amen.“

Extrem erleichtert, nun befreit von jeglicher Sündenlast, betete ich umrahmt von dämmrigem Kerzenlicht kniend inbrünstig freiwillig sogar dass Doppelte was man mir auferlegte, sozusagen als Zeichen meines guten Willens.
Danach rannte ich unverzüglich nach Hause, vermied jeglichen Kontakt mit den Nachbarskindern, denn wenigstens bis zum Sonntagmorgen, welcher mir die hl. Kommunion versprach, musste meine Seele sauber bleiben.

Doch Gerdchen, unser Nesthäkchen, stellte mich wieder einmal auf eine harte Probe, in meiner Not beschloss ich Gott persönlich um seinen Rat zu bitten, doch es gelang mir nicht dessen Antwort abzuwarten.
Denn dies verwöhnte Kind hatte mein neues Mickey Mouse Heft (welches mir Tante Hilde spendierte) total mit Kakao bekleckert.
Rasend vor Wut verpasste ich dem Liebling aller eine saftige Maulschelle und sein infernalisches Gebrüll machte blitzartig zunichte… was mir kurz zuvor gewährt, nämlich „die Gnade der Vergebung“.

Und zack, hatte ich sie schon wieder befleckt diese *Unsterbliche… weil „man solle ja nicht im Zorne handeln“.

Autor: galen

Artikel Teilen

 

Artikel bewerten
5 Sterne (16 Bewertungen)

Nutze die Sterne, um eine Bewertung abzugeben:


43 17 Artikel kommentieren
Themen > Unterhaltung > Kolumnen, Anekdoten und Co > Aus dem Alltag von Galen > Die Ohrenbeichte