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Der Jubilar

Der schlaksige, etwas groß geratene Cousin, Sohn einer tüchtigen sowie energischen Mutter und eines in heimatlicher Tradition verwurzelten Vaters, lud ein, sein fünfundsechzigstes Lebensjahr sowie den Ausstieg aus dem Berufsleben gebührend zu feiern.

Ein mehrgängiges Menü in heiterer Runde, gewürzt mit launigen Anekdoten sollte diesen Tag zu einem unvergesslichen Erlebnis machen.
Der 2009 zum Chefredakteur einer Fachzeitschrift Berufene platzierte seine Gäste ausgewogen. Die Bildungsfernen unter ihnen saßen versammelt an festlich gedeckten Tischen in warmfarbigen Nischen. Während des angeregten Plauderns äugte manch Verunsicherter seines Nachbarn Besteckkünste ab, welche ihm die Möglichkeit gaben, das *zartrosa gebratene Vitello mit feiner Thunfischsauce* vorschriftsmäßig zu verspeisen. Den jeweils zur Menüfolge gehörenden Wein kredenzte ein flinkes aufmerksames Personal. Sich gegenseitig wohlwollend zuneigend, erhoben die Gäste die bauchigen, gut gefüllten Gläser.


Nachdem der Jubilar, bevor die *Tandori-Schaumsuppe mit Riesengarnelen* aufgetragen wurde seine lockere Begrüßungsrede beendet hatte, ergriff der Juniorchef des Verlagshauses, in dem der Cousin 35 Jahre tätig war, das Wort. Er lobte dessen Einsatz sowie vorbildlichen Fleiß und hob hervor, dass das Haus auf diesen loyalen Angestellten in Zukunft verzichten solle, sei fast unvorstellbar. Die unterschiedlichsten Aufgaben erfüllte der sich nun in den wohlverdienten Ruhestand begebende mit enorm freudiger Schaffenskraft.
Seine Tätigkeit verbat ihm einengende vorbestimmte Arbeitsstunden, manch Sonntage dienten ihm treu das enorme Pensum, welches er sich selbst auferlegte, zu bewältigen. Seine zwei schon erwachsenen Kinder, die nie zu ernsthafter Sorge Anlass gaben, ehrten ihren Vater respektvoll mit einem kostbaren Präsent. Zur stolzen Freude des Jubilars und dessen Gattin Käthe überreichten diese jungen Menschen (die Tochter eine promovierte Zahnärztin und der Sohn ein in München beheimateter Volljurist) ein Portrait in Öl auf Leinwand, welches ihre Eltern in liebevoller Zweisamkeit zeigt.

Die leckeren *Spaghetti mit kleinem Ochsenragout, St. Morzano-Tomate samt kleiner Böhnchen* rutschten hier und da keck von der Gabel und kringelten sich frech aus dem Löffel, um sogleich als saucenverkleidete Fäden aus den Mundwinkeln zu hängen. Nach nun mehreren Gläsern Weingenusses vernahm man auch von den entferntesten Tischen manch gellendes, gurrendes Gelächter.
Sonore männliche Stimmen, bemüht ein ernsthaftes Gespräch in Gang zu halten, erhitzt wurde manch Krawatte gelockert, lebhaft referierte man über öffentliche einmalige periodische Abgaben in einseitig festgesetzter Höhe.
Die temperamentvolle mit einem Mitglied der verarmten Verwandtschaftslinie verheiratete Spanierin Melinda nutzte die kleine Pause, bevor der Hauptgang, *Lammrückenfilet mit Espresso – Gewürzkruste, feinem Lamm-Jus und Couscous mit Gemüsewürfeln, Pinien- plus Sonnenblumenkernen* serviert wurde, Cousins und Cousinen des Jubilars zu ermutigen, dem Geburtstagskind ein paar spaßige Lieder vorzutragen.

Ein Grüppchen Menschen unterschiedlichen Jahrgangs versammelte sich linkisch räuspernd im helleren Bereich des gemütlichen Weinhauses *Julius. Begleitet von den Gitarrenklängen Melindas sangen ungeübte Kehlen kraftvoll bis zur letzten Strophe muntere, teils spanisch gefärbte melodische Verse. Sichtlich gerührt applaudierte der Besungene.

Bei samtigem * 2001 er Rasteau doux naturel Rhone*, dem *halbflüssigen Schokoladenküchlein mit roten Beeren*, welches die Gaumen betörte, vernahm ein Gast, welcher dicht neben einer mit rosiger Leibesfülle gesegneten Dame saß (während der hagere Gatte in ihrem Schatten genussvoll dem Weine zusprach), dass ihre Buchsbaumhecke stets zu schneiden sei, wenn sie des Nachbars Glatze in dessen Garten nicht mehr sähe.
Eine in blassgrünem Taft gekleidete zierliche Person, deren haselnussbraunes Haar in der matten Beleuchtung jung schimmerte, gab unaufgefordert Tröstendes sowie Wissenswertes bezüglich diverser Behandlungen mannigfaltiger Unpässlichkeiten preis.

Der Zeiger der Uhr rückte derweil unerbittlich in die Morgenstunde, vereinzelt wurde ein Digestif serviert, seufzend orderten vorwiegend die männlichen Gäste manch frischgezapftes Pils.
In kleine Kreise fanden sich die engeren Freunde in aufgekratzter Stimmung, welche sich zwischen dem anbrechenden Morgen und der davongegangenen Nacht eingenistet, zu einem gemütlichen Umtrunk in dem Schankraum des Lokals zusammen. Auch die bedauernswerten zum Aufbruch Drängenden konnten die um den Jubilar gruppierten rotwangigen Menschen keineswegs irritieren.
Erst die vormittäglich blinzelnde Sonne ermahnte die sich in einem seligen Gefühl unverbrüchlicher Freundschaft Befindlichen nun Abschied zu nehmen von einem vortrefflich gelungenen Wiegenfest.

Leere Teller

Autor: galen

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