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Bolero

Gestern war Besuchstag bei Frau K. Vorsichtig öffne ich die Türe des Zimmers und sehe sie bis ans Kinn zugedeckt, schlafend? Nein dösend, sie döst mit leerem Blick die Zimmerdecke an und hört mich nicht.

Ich bringe frische Luft in den stickigen Raum, ziehe meine Jacke aus, den Schal und die Mütze und lege alles auf den in der Ecke, in Vergessenheit geratenen Rollstuhl. Ich schiebe die Fertigwindeln zur Seite und wuchte den schweren Sessel neben ihr Bett. Ich beuge mich zu ihr hinunter, sie schaut mich an und sofort ist sie hellwach. Ach, Sie sind es, in der Weihnachtszeit kommt doch keiner, sagen die Schwestern.

Doch, ich, denn heute ist unser Donnerstag, da komme ich Sie immer besuchen, ganz egal, auch in der Weihnachtszeit. Das ist schön, Frau K. lächelt, ich stelle das Kopfteil des Bettes höher, so dass wir uns ansehen können.

Ich frage wie es ihr geht, schleppend erzählt sie Dinge, die ich kommentiere, glaube ihren Schilderungen, denn sie sind der Anker anzuknüpfen um uns „näher“ zu kommen. Ich beginne unvermittelt ein Weihnachtslied anzustimmen, die ersten Sätze allein, dann singt sie mit, doch leider kenne ich von all den Liedern meist nur zwei Strophen.

Ich entdecke auf dem Tischchen am Fenster einige CDs und ich frage: Haben Sie Lust ein bisschen Musik zu hören? Ihr „ja“ ermuntert mich wahllos eine Scheibe hervorzuholen und in den Recorder zu schieben, leise beginnt der unvergleichliche „Bolero“ von Ravel unsere Ohren zu betören und plötzlich schwelgen wir in Erinnerungen.

Frau K. vertraut mir an, dass sie stets nur für schwarzhaarige Männer geschwärmt habe, ihr erster Freund war ein schwarzgelockter Grieche, oh ja, griechische Männer sind oftmals sehr schön, stimme ich zu. Wir lachen, ich verrate ihr (der Bolero nun laut und mitreißend) mal einen Mann gekannt zu haben, welcher lässig behauptete „ein“ Bolero sollte reichen, um mich glücklich zu machen.

Frau K. irritiert, das verstehe ich nicht, ich grinse und kläre sie auf, verschmitzt meint sie trocken, dass gäbe dann aber garantiert Zwillinge.
Unsere Wangen nun zartrosa, ich drücke Wiederholung, erneut beginnt das rasante Musikstück uns in seinen Bann zu ziehen.

Der Grieche hieß Pavlos, das spricht man aber so aus: Pavlo “s-z" wie im Englischen, mit der Zunge ganz vorne an die Zähne stoßend, belehrt mich Frau K.

Ich nehme ihre Hand in die meine, ach wäre es schön zusammen hier Sylvester zu verbringen, ich bring Konfetti und Champagner mit, wir lassen sämtliche Türen auf und jeder kann mitfeiern.

Ich darf keinen Alkohol trinken, meint Frau K., doch gleich danach ließ sie mich wissen, ein Gläschen Schnaps hätte sie doch gern, dies würde ihr reichen.

Unsere zwei Stunden vergehen wie im Fluge. Bevor ich mich von ihr verabschiede, bittet sie mich doch nächstes Mal von Udo Lindenberg „Sonderzug nach Pankow“ mitzubringen, das höre sie so gern.

Ihr Wunsch ist mir Befehl, denn habe von dem Lindenberg sämtliche Songs zu Hause und nächsten Donnerstag rocken wir zusammen mit dem Udo ab, versprochen!

Autor: galen

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