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Andere Umstände

Die Sechziger-Jahre, keine rosige Zeit schwanger zu sein, Kinder hatten längst nicht diesen Stellenwert von heute. Es wurde wenig Bohei um sie gemacht und die Höhe des Kindergelds war mehr als lächerlich. Hilfestellung bezüglich Geburtsvorbereitung, Kinderbetreuung, Mutterschutz, Elterngeldstelle, Schwangerschaftskonfliktberatung, unterschiedliche Unterstützungsmöglichkeiten während der Schwangerschaft und nach der Geburt; ein eher mageres Angebot.

Schwangere Frau

Die Verhütungspille gab es zwar, die Skepsis jedoch groß. Schwanger zu sein hieß damals, unbedingt heiraten, wegen der „anderen Leute“, dem Klatsch, der Moral. Alleinerziehende hatten in der Gesellschaft einen zweifelhaften Ruf, sie wurden dürftig finanziell unterstützt, ihre Kinder nannte man mitleidig „Schlüsselkinder“, die Mütter verdienten allein den Lebensunterhalt. Den vom Ehemann „versorgten“ Müttern blühte ein isoliertes Leben zwischen Herd und vollen Windeln. Kindergärten waren eine Rarität und die sogenannten „Horte“ hatten den üblen Beigeschmack einer Aufbewahrungsanstalt.
Dem Staat schien dies alles recht zu sein, regierte doch in Westdeutschland, der „ alte Herr vom Rhein“, welcher ausschließlich vom neunzehnten Jahrhundert geprägt. Seine politische Heimat, erzkonservativ, in der die Rollen von Mann und Frau festgeschrieben, es gab den Ernährer und dessen Dienerin, basta! Spätestens nach der Geburt des ersten Kindes, blieb die Mutter zu Hause und versorgte aufopfernd ihr Kind, aufmüpfige Verweigerinnen wurden als „Rabenmütter“ stigmatisiert.

Die zahlreichen Verbote der Erziehungsberechtigten hatten zwar nach der Eheschließung ausgedient, doch es gab nun andere „Pflichten“, welche den Traum von einer neu gewonnenen Freiheit in das Land der Fantasie verbannte.

Die Amtskirchen übten unangefochtene Macht aus, und man spürte deren Scheinheiligkeit, zum Beispiel beim Thema „Keusch in die Ehe“ während des „Brautgesprächs“ unter vier Augen, mit dem unverheirateten Herrn Pfarrer. Mein allererster Frauenarztbesuch stand an, denn seit zwei Monaten vermisste ich die Periode, und ahnte schon die mögliche Ursache. Meine Wahl, ein Gynäkologe, dessen Name meine Augen beindruckte, ein von und zu, residierte in einem wunderschönen Weser-Renaissance-Backsteinbau.


Frostiger Empfang, in dem steifen, weißen, überlangen Kittel schüchterte er mich total ein. Halbgott in Weiß hörte ich oft, jetzt wusste ich, was damit gemeint war.
Auf sein Geheiß bestieg ich zum ersten Mal in meinem Leben den „Untersuchungsstuhl“ spreizbeinig, den Kopf tiefer gelegt, völlig ausgeliefert einem wildfremden Menschen, dazu noch einem Mann.
Der Arzt „untersuchte“ die Vaginalregion, kalt das Metall des Spekulums. Grob betastete er meinen Bauch mit Hilfe des „Leopold-Handgriffs." Schweigen, von Angst umklammert, die Anspannung wuchs ins Unermessliche, ich fror, verkrampfte mich.

„Sie können sich wieder anziehen, ich erwarte Sie dann zum Gespräch.“ In Windeseile streifte ich den Slip verkehrt rum über die Blöße, schamrot gefärbte Wangen verrieten den Wunsch im Erdboden zu versinken. Dann saß ich nervös vor seinem eindrucksvollen, mit imposanten Schnitzereien versehenen Schreibtisch.

Und der Weißkittel teilte mir sachlich mit, tja sie sind schwanger. Anfang des dritten Monats, in der frühen Schwangerschaft kann es zu Fehlgeburten kommen. Wie ich sehe, sind Sie nicht verheiratet, also dürfte Ihnen dies vielleicht sogar recht sein? Ich verließ innerlich weinend diese Praxis, ohne sie je noch einmal zu betreten.

Zugegeben die Situation war prekär, nix gespart, keine Aussteuer und keine Wohnung, zudem „nur“ verlobt. Doch mein Jungmädchenzimmer bot mir vorerst Unterschlupf. Es gelang schließlich dank der Beziehungen eines befreundeten Ehepaars meiner Eltern, welches mit dem Chef einer gemeinnützigen Wohnungsgesellschaft verbandelt, die begehrte Wohnung zu ergatterten. Neubau, zwei Raum – Glück mit Balkon, Kohleofen, Bad.

Eine schlichte Eheschließung, in einem schwarzen Kostümchen, denn „ganz in Weiß“ schien mir zu albern. Und der schönste Tag in meinem Leben war es auch nicht. Wildmuster-Gardinen, Schrankwand echt Palisander, Couchtisch, Deckenlampe, Sessel, Sofa, einen Kunstdruck hinter Glas, samt Gummibaum, Sammeltassen, spießige Gemütlichkeit. Die sogenannte Erstausstattung für mein ungeborenes Kind verlieh mir das großartige Gefühl richtig erwachsen zu sein, obwohl noch nicht volljährig. Mein straffer junger, Bauch veränderte sich rasant, ich war erstaunt wie locker ich diese körperliche Verunstaltung hinnahm. Ein Mensch lebte in meinem Körper, er wuchs und gedieh, nahm von mir Besitz, ich war jetzt sein Behüter und Ernährer.

Damals war eine Schwangere peinlich bemüht, ihren dicken Bauch zu kaschieren bzw. verstecken, mit möglichst weiten Kleidern, scherzhaft auch „Zelte“ genannt. Wenn ich heute die werdenden Mütter, auch sogenannte „Spätgebärende“ beobachte, welche überstolz ihren Zustand präsentieren, lächle ich milde. Du bist nicht die Erste und wirst auch nicht die Letzte sein, die einem Kind das Leben schenkt, und ertappe mich dabei, sie wegen ihres unerschütterlichen Selbstbewusstseins glühend zu beneiden.


Ich besaß damals ein Umstandskleid für sonntags und einen Trägerrock für die restlichen Tage, diese Klamotten begleiteten mich treu bis zum ersehnten Geburtstermin. Das Muster des Schottenkarorocks werde ich niemals vergessen, mindestens sechs Monate trug ich das Teil von Montags bis Samstags, ein weißes Blüschen und zwei Ringelpullis, bemühten sich redlich mir ein wenig Abwechslung zu bieten. Mein bordeauxrotes weitschwingendes, Sonntagskleid peppten vier entzückende Schleifchen auf. Doch wehe, wenn es ein Fleck auf meine zwei wichtigsten Kleidungsstücke schaffte, womöglich einer, der sich nicht vertreiben ließ, kam dies fast einer mittleren Katastrophe gleich.

Die Nächte zum Ende der Schwangerschaft, nannte ich „ Mutter-Kind-Gespräche“. Während das Kind heftig gegen meine Bauchdecke trat und ich weder auf dem Rücken noch auf der Seite liegend zur Ruhe kam, unterhielt ich mich mit dem mir noch unbekannten Wesen. Ich versprach es zu beschützen, und wusste nicht, ob ein Mädchen oder ein Junge mich zur Mutter wählte, das blieb bis zur Geburt ein streng gehütetes Geheimnis.
Ich freue mich auf Dich, egal ob du Lea, oder Leon heißen wirst, Du bist herzlich willkommen, ich liebe dich.

P.S. Vierzehn Tage später als der errechnete Termin erblickte mein Sohn Leon das Licht der Welt, ein gesunder kräftiger Junge... und das Erlebnis einer Geburt damals… tja, dies ist wieder eine ganz andere Geschichte.

Autor: galen

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