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Welten hinter Glas – Schaufenster um 1900




Die heimlichen Verführer geben einen spannenden Einblick in das alltägliche Dasein und erzählen Geschichten.
Von Maike Kozok
Kaum ein anderes architektonisches Element der Innenstadt erscheint uns heute so selbstverständlich und zum täglichen Leben gehörend wie das Schaufenster. Doch auch schon vor 100 Jahren war es aus dem Straßenbild nicht mehr wegzudenken. Anhand einiger Fotos, die der Hildesheimer Fotograf Franz Heinrich Bödeker (1836 bis 1917) um 1900 machte, lassen sich die Formgebung und die Entwicklung dieser speziellen Außenarchitektur eindrucksvoll darstellen. Denn neben seiner eigentlichen Funktion, die Aufmerksamkeit der Passanten zu wecken und sie zum Betreten des Geschäfts zu bewegen, prägt das Schaufenster nicht nur das strukturelle Gefüge der Fassaden, sondern auch maßgeblich das Gesicht der Stadt.Das Schaufenster, wie wir es kennen – mit lang gestreckten Glasflächen gestaltet und mit üppigen Auslagen dekoriert –, gibt es seit dem 19. Jahrhundert. Zwar wurden bereits früher Produkte vor Fensterglas ausgestellt, doch erst technische Fortschritte bei der Glasherstellung und sinkende Glaspreise ermöglichten seit 1850 den großflächigen Einsatz von Glas und damit opulente, überladene Auslagen. Als eines der ältesten damals in Hildesheim noch erhaltenen Beispiele eines mit Bleisprossen und Faltläden gegliederten Schaufensters kann das Fachwerkhaus im Kurzen Hagen Nr. 10 genannt werden. Es stammte aus dem 18. Jahrhundert und offerierte die Erzeugnisse, wie Schuhsohlen und Putzmittel des „Schuhmacher-Rohstoff-Vereins“.Auch der Korbwarenladen Christian Evers im „Schiefen Haus“ von 1601 am Andreasplatz zeigt sehr schön die Frühform der Schaufensterpräsentation. Handgefertigte Produkte wurden ohne viel Aufwand zum Verkauf angeboten. Das Fenster selbst stammt jedoch nicht aus der Erbauungszeit des Hauses. Tatsächlich sind derartige zweiflügelige Holzfenster mit Angeln in Form von Stützkloben und Quersprossen als Spitzfase typisch für das späte 19. Jahrhundert.Die Weiterentwicklung in der Eisenherstellung führte dazu, dass immer schlanker werdende Eisenbauelemente, wie gusseiserne Stützen, verwendet werden konnten. Herausragend war in dieser Hinsicht das 1846 im „Palazzo-Stil“ errichtete Geschäftshaus der Eisenhandlung F. W. Schwemann in der Altpetristraße. Bei diesem Gebäude wurden großformatige Schaufenster mitsamt dem Neubau konzipiert. Eine schlanke, gusseiserne Säule mit Maßwerkrosette teilt jeweils eines der Schaufenster. Bis zu fünf Meter große, ungeteilte Scheiben konnten mittlerweile eingesetzt werden. Die manufakturmäßige Herstellung des Glases im Zylinderstreck- oder Mondglasverfahren wurde durch industrielle Produktionsmethoden abgelöst. Damit war eine wichtige materielle Grundlage für die Entstehung von sprossenfreien Schaufensterflächen gegeben. Sie trugen dem Wunsch nach ungestörtem Lichteinfall Rechnung.Ein weiterer Faktor in der Entwicklung der Schaufenstergestaltung war die industrielle Produktion von Massengütern. Sie bewirkte eine stürmische Ausdehnung des Handels und bedingte damit auch neue Verkaufsmethoden. Wurden zunächst in erster Linie selbst gefertigte Waren im Erdgeschoss des eigenen Hauses ausgestellt, musste im Laufe der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Bedarf an Nahrungsmitteln, Kleidung und Hygieneartikeln einer wachsenden Stadtbevölkerung angepasst werden. Es entstanden frühe Markenartikel mit gleich gestalteten Verpackungen, die über Zeitungswerbung oder über Auslagen im Geschäft angepriesen wurden. Hatten die Hildesheimer Kaufleute noch in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts den Verlust ihrer Privilegien befürchtet, erkannten sie nun, welch ungeheure Anziehungskraft von der Werbekunst ausging, und trieben den Ausbau ihrer Läden mitsamt deren Fronten voran. Mit den hinter Glas inszenierten Waren schufen die Geschäfte eine zielgerichtete und werbewirksame Selbstdarstellung nach außen. An die Stelle der bescheidenen Ladenöffnungen traten nun große Schaufensterflächen. Sie wurden manchmal behutsam, oft auch brachial in alte Bürgerhäuser hineingearbeitet. Damit eroberte nach 1850 das breit angelegte Schaufenster auch in den Hildesheimer Geschäftsstraßen endgültig die Hausfront.So wie bei der Bäckerei und Konditorei Alfred Ohms in der Osterstraße 40 wurde häufig vorgegangen. Dem 1546 errichteten Fachwerkhaus war ein Schaufenster in Form eines Schaukastens eingefügt worden. Über mehrere reich verzierte Regale stapelten sich die Brote und Süßwaren. Obwohl das Fenster durchgehendes Glas ohne Sprossen besaß, war die Warenauslage nach alter Weise arrangiert, als gäbe es noch Bleisprossen.Das großflächige Glas hatte weitere Vorteile. Auf ihm konnte in großen Buchstaben für das jeweilige Angebot geworben werden, zu sehen bei den 1619 errichteten Fachwerkhäusern „Colonialwaaren – Delicatessen – Cigarren“ von H. J. Groß und dem „Rasir-Salon“ von Gustav Herrmann in der Braunschweiger Straße. Sie stellten ihre Fassaden in den Dienst der Reklame.Das Gebot, auf minimalem Raum die größtmögliche Ausnutzung zu erreichen, führte um 1900 dazu, dass sich die Schaufenster über mehrere Geschosse ausdehnten. Die Fassade wurde weitgehend durch Glasflächen gebildet, womit ein optimaler Lichteinfall und Einblick in allen Etagen gewährleistet war.Bei dem Neubau des Konfektionshauses Löbenstein & Freudenthal am Hohen Weg wird das Vorbild des Pariser Warenhauses überdeutlich. Wie beim rechts anschließenden Haushaltswarengeschäft Dietrich Lindemann reichten die Schaufenster über drei Geschosse. Das üppige, neugotische Dekor des Dachgeschosses sollte mit der ungewohnten Glasfläche versöhnen. Um die Schaufensterfront vor neugierigen, allzu unvorsichtigen Betrachtern zu schützen, war ein gusseisernes Gitter vorgestellt. Derartige Glasfassaden galten um die Jahrhundertwende als das höchste Ideal für ein neues Geschäftshaus.Das tektonische Gefüge, die großflächige Fassadenverkleidung gusseiserner Skelettkonstruktionen, kam bei diesen Bauten voll zur Geltung. Das Ergebnis waren lichtdurchflossene, gewaltige Glasflächen. Sie können als die Vorläufer der heutigen Glasarchitektur bezeichnet werden und bezeugen eine vollkommen neue Materialästhetik.Zu den wichtigsten Hauptverkehrsstraßen gehörte um 1900 neben dem Hohen Weg und der Almsstraße auch die Altpetristraße. Sämtliche Erdgeschossfassaden waren dort durchgehend mit Schaufenstern gestaltet. Sie gaben einen spannenden Einblick in das alltägliche Dasein. Schaufenster weckten – wie heute – Sehnsüchte nach fernen Ländern, riefen Festtagsstimmung hervor oder erzählten Geschichten. Noch immer sind sie die heimlichen Verführer und haben, genauso aktuell wie vor 100 Jahren, einen entscheidenden Einfluss auf den architektonischen Charme der Innenstadt.




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