Wie entsteht eine Depression?
Anders als ein gebrochenes Bein wird eine Depression in der Regel nicht nur durch einen einzigen Auslöser bedingt. Im Gegenteil, die Depression rührt von einem Zusammenspiel diverser Faktoren her. Dazu gehören einerseits solche, die eine Veranlagung, depressiv zu werden, begünstigen, während es andererseits auch sogenannte Trigger in der Gegenwart gibt, die bei Menschen mit einer solchen Veranlagung das Krankheitsbild auslösen können.
Viele Betroffene rätseln daher, ob ihre Depression letztendlich ein körperliches oder doch eher ein seelisches Leiden ist. Um besser zu verstehen, wie sich eine Depression entwickelt, gilt es, die Erkrankung von zwei Seiten zu betrachten: Der psychosozialen und der neurobiologischen.
Psychosoziale Faktoren: Belastende Erfahrungen
Wenn man bei jemandem eine Depression beobachtet, könnte dessen psychosoziale Situation ursächlich für das Leiden sein. Im Gespräch finden Therapeuten häufig Traumatisierungen oder Missbrauchserlebnisse in frühen Lebensjahren vor, deren Erinnerung das Risiko, später depressiv zu werden, begünstigen.
Für derlei Faktoren verwenden Mediziner und Psychologen die Schlagworte Anfälligkeit, Vulnerabilität oder erworbene Veranlagung. Doch nicht immer holen einen Erfahrungen aus der Kindheit ein, wenn sich eine Depression entwickelt. Auch Erlebnisse im Erwachsenenalter wie ein Jobwechsel, der Verlust eines Angehörigen oder ein bestandenes Examen können zu einer depressiven Episode führen, wenn die Bewältigung der Situation den Betroffenen überlastet.
Gleichwohl gibt es aber auch Depressionen, die keine erkennbare psychosoziale Grundlage besitzen. Eine Psychotherapie empfiehlt sich aber dennoch, um die Erkrankung einzugrenzen und behandeln zu können.
Neurobiologische Faktoren: Vom Kommunikationsproblem der grauen Zellen
Neben den bereits erwähnten psychosozialen Ursachen gibt es auch körperliche Auslöser einer Depression, d.h. physische und neurobiologische Veränderungen im Körper. Damit sind z.B. genetisch bedingte Faktoren gemeint, die das Erkrankungsrisiko erhöhen. Dazu zählen Abweichungen im Hormonhaushalt oder ein prinzipielles Ungleichgewicht anderer Botenstoffe im neuronalen Stoffwechsel. Diese Missstände können durch eine medikamentöse Therapie ausgeglichen werden, sofern der Patient die verschriebenen Antidepressiva regelmäßig einnimmt.
Aktuelle Forschungserkenntnisse
Die traditionelle Serotoninhypothese, die lange als Hauptursache für Depressionen galt, wird heute kritisch hinterfragt. Neue Studien deuten darauf hin, dass Depressionen nicht ausschließlich durch ein Ungleichgewicht von Neurotransmittern wie Serotonin verursacht werden. Es ist vielmehr eine komplexe Erkrankung, die durch viele unterschiedliche Faktoren beeinflusst wird. Dies erklärt, warum Antidepressiva nicht bei allen Patienten gleich gut wirken.
Ein weiterer neuer Forschungsansatz betrifft die Rolle von Entzündungen im Körper. Chronische Entzündungen werden heute als möglicher Beitrag zur Entstehung von Depressionen angesehen. Forscher vermuten, dass entzündliche Prozesse Veränderungen im Gehirn hervorrufen, die depressive Symptome auslösen können. Dieser Ansatz öffnet neue Möglichkeiten für Therapien, die auf die Reduzierung von Entzündungen abzielen.
Zudem ist die sogenannte Mikrobiom-Gehirn-Achse ein wachsendes Forschungsfeld. Es gibt Hinweise darauf, dass die Bakterien im Darm das Gehirn beeinflussen und somit auch psychische Erkrankungen wie Depressionen begünstigen können. Die Darmgesundheit könnte also einen Einfluss auf die mentale Gesundheit haben, was weitere Therapieansätze ermöglicht.
Das Gleichgewicht wiederherstellen: Tabletten sind nicht alles
Antidepressiva mögen zwar nachgewiesenermaßen die beschriebenen biochemischen Prozesse im Gehirn insofern beeinflussen können, als dass die fehlgeleiteten Neurotransmitter wieder auf Kurs gebracht werden, aber das genaue Nachvollziehen und Bewältigen der jeweiligen Funktionsstörung allein durch die Gabe von Psychopharmaka bleibt schwierig. Die Wechselwirkungen und Rückkopplungsmechanismen des menschlichen Gehirns sind noch immer zu oberflächlich erschlossen und der Eindruck, es mangele dem Depressiven lediglich an einem bestimmten Serotoninspiegel, ist ein Trugschluss.
Zu oft erleben Erkrankte, dass es ihnen trotz Medikamenteneinnahme nicht besser geht und suchen anderweitig nach Hilfe. Studien haben in der Vergangenheit sogar ergeben, dass auch nichtmedikamentöse Therapieformen eine gewisse Besserung versprechen können. Sowohl eine Verhaltenstherapie als auch ärztlich begleiteter Schlafentzug oder eine Elektrokrampftherapie können sich positiv auf den Hormonhaushalt der Betroffenen auswirken.
Depressive DNA: Von der Vererbung der Schwermut
Im Bereich der neurobiologischen Faktoren stellt sich oftmals auch die Frage, ob die Ursache der eigenen Depression nicht etwa im Erbgut verborgen liegt. Auch Betroffene, die einen Kinderwunsch hegen, möchten häufig erfahren, inwieweit eventuelle Kinder dieselbe Last zu tragen hätten. Sicher ist, dass es eine genetische Veranlagung zur Depression und anderen psychischen Erkrankungen gibt.
Anders als bei Alzheimer oder Chorea Huntington gibt es jedoch nicht das eine depressive Gen; stattdessen geht man derzeit davon aus, dass es mehrere genetische Mutationen gibt, die erst bei einer bestimmten Abfolge zu einer depressiven Erkrankung führen. Statistiken aus der Adoptions- und Zwillingsforschung haben ergeben, dass eine Person, deren Eltern oder Geschwister schon an einer Depression erkrankt sind, ein etwa dreimal so hohes Risiko hat, selbst zu erkranken.
Dennoch muss das psychische Leiden nicht ausbrechen, denn bei eineiigen Zwillingen wurde festgestellt, dass nur in etwa der Hälfte der untersuchten Fälle beide Zwillinge von einer Depression betroffen waren. Somit gilt es stets, sämtliche Faktoren, die eine solche Diagnose begünstigen könnten, zu untersuchen.
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