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Last Christmas
Peter Ahrens

Glühwein? Reiswein! Einmal dem Krippenspielterror dilettantisch agierender Kindergruppen entgehen, sich einmal dem Würgegriff der Liebe entziehen, sich einmal dem Tannenbaum-System versagen. Einmal um diese Zeit so weit weg sein, wie es geht.
Thailand, Laos, Kombodscha. Einmal nicht „Last Christmas“, stattdessen „One Night in Bangkok“. Dem weihnachtlichen Schrecken jedoch kann man nirgends entrinnen, so viele Flugkilometer man auch zurücklegt, Ich hätte das wissen müssen.

Der Ort hieß Vang Vieng, in keinem Diercke Schulatlas verzeichnet. Irgendwo im Norden von Laos. Auf der Busfahrt dorthin hatten wir uns im Reiseführer notdürftig mit den wichtigsten Infos über die Gegend versorgt. Von Partyhochburg war da die Rede, aber auch davon, das es in der Region noch Rebellen gibt, die Hmongs, die sogar ab und an Touristen überfallen. Wohliger Schauder! Von Christmette stand da nichts. Noch wohligerer Schauder. Hier waren wir richtig,

Das mit der Partyhochburg stimmte schon mal. In Vang Vieng freut man sich über die Weihnachtsflüchtlinge aus Europa und den USA. Gin Tonic für alle, wer will, kann der Realität auch mit anderen Mittelchen entfliehen. Kein Quadratmeter ohne Massagesalon, Rent a Bike an jeder Ecke für die Outdoor-Freaks, Tubing ist der Hit: Die Touristen treiben in aufgepumpten LKW-Reifen hängend, kilometerweit den Nam-Song-Fluss herunter.

Für meine Freundin und mich hielt Vang Vieng eine kleine Strohhütte am nördlichen Rand des Ortes bereit, dahinter begann direkt der Dschungel. Dort lauerte die Gefahr.

Zweiter Weihnachtsfeiertag, den Abend davor mit Getränken verbracht in Farben, von denen ich bisher nur ahnte, dass es sie gibt. Die laotische Nacht war noch nicht herum, meine Nachtruhe schon. Meine Freundin sitzt kerzengerade in der Hängematte, sie rüttelt an meinem Schlaf herum.
„Hörst Du das nicht“, Panik in der Stimme, in den Augen, im Gemüt, „Die Rebellen.“ Ich höre: Bumm. Bumm Bumm Bumm. Dumpf dröhnt es. Das Geräusch, es kommt von Norden. Aus dem Urwald. Leise aber eindeutig vernehmlich: Die Hmong-Rebellen. Sie schlagen ihre Trommel, sie Tanzen. Sie tanzen sich in einen Rausch. Es wird, es kann nur ein Blutrausch sein. In dark deep jungle I hear the wild drum, My heart beats faster knowing my time‘s come. Mit Rose Laurens als letztem Ohrwurm zu sterben, ist ein besonders beklagenswertes Schicksal.

Es ist klar. Die Rebellen wollen der Weltöffentlichkeit ein Zeichen setzen. Sie wollen an Weihnachten ein Touristencamp überfallen, und wer ist als erstes an der Reihe? Ein Pärchen aus Deutschland, das am Rand des Ortes in einer Strohhütte sein Quartier genommen hat.

Jetzt heißt es schnell sein. Meine Freundin rafft schon ihre Siebensachen zusammen, alles wird in den Rucksack gestopft, was nicht passt, wird auch nicht mehr passend gemacht. „Wir müssen in den Ort, dort sind Menschen, dort sind wir vielleicht sicher.“ Sie ist so pragmatisch. Selbst wenn es um unser Leben geht, behält sie den Kopf kühl. Die Trommeln schlagen. Ich meine, das Geräusch kommt näher. Vietnam-Filme kommen mir in den Sinn. Der letzte Hubschrauber, der die verhassten Westler vom Hoteldach noch aus dem Land fliegt. Aber hier gibt es keine Helikopter. Hier gibt es nur aufgepumpte LKW-Reifen. Ich kenne keinen Vietnam-Film, in dem US-Amerikaner den letzten LKW-Reifen erreichen, der sie in Sicherheit schwemmt. Es muss ein neues Genre geben, den Laos-Film.

Ab also in den Ort, der ist menschenleer. Natürlich, um diese Uhrzeit. Alle Gin-Tonic-Leichen liegen wehrlos in ihren Hüttchen, leichts Spiel für die Hmongs. Aus dem kleinen Buddhistenkloster ertönt ein Gong, sie begrüßen den Morgen – oder begrüßen sie die Revolution? Hätte man doch mehr von der buddhistischen Gelassenheit. Das würde uns den Tod leichter begrüßen machen.

Am Kloster vorbei führt die Dorfstraße direkt in den Norden, direkt ins Verderben, die Bars sind ausgestorben, die Internet-Cafes sind geschlossen. Keine Chance, einen Hilferuf in die freie Welt abzusetzen. Die Uhr zeigt kurz vor fünf. Und das Bumm, Bumm, Bumm, es hört nicht auf. Mir wird klar, warum es heißt, das letzte Stündlein habe geschlagen. Unser letztes Stündlein? Unser letztes Weihnachtsfest?

Dort auf der Dorfstraße, die nach Norden ins Herz des Hmong-Landes führt, plötzlich Bewegung. Eine Staubwolke, sie kommen. Oder doch nicht? Es sind nur zwei Gestalten, erst kleine Punkte, dann langsam größer werdend. Es sind ganz offensichtlich Backpacker, sie wanken. Zwei, die den Rebellen entkommen sind. Sie kommen näher, sie schlurfen, müde, na klar, nach dem, was sie erlebt und erlitten haben müssen. „Wo kommt ihr her? Hört ihr das Geräusch? Die beiden: „Wir kommen aus der Dorfdisco. Die ganze Nacht getanzt. Sie machen noch ein paar Stunden. Wenn ihr auch Lust habt: Ihr müsst nur die Straße lang nach Norden.“

Dorfdisco. Bumm Bumm Bumm. Wenn man genau in die Morgenruhe hinein hört, vernimmt man:

Sie spielen „Last Christmas“.

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