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Ingrids Plausch im Treppenhaus

Auch andere Menschen haben mal einen schlechten Tag. Stell dir folgende Situation vor. Ein Handchirurg will eine vereiterte Stelle an meinem Finger operieren. Ich bin die erste Patientin, die OP ist für 7 Uhr angesetzt. Das OP-Team hat mich vorbereitet, wir warten. Beruhigungsmedikamente werden bei mir ergänzt, obwohl ich voller Vertrauen absolut ruhig bin. Um 8 Uhr kommt der Arzt total abgehetzt und brummelt Ärgerliches: Zwischen ihm und mir hängt ein Tuch, sehen kann ich nichts, aber hören. So frage ich, ob ich dem Arzt und dem OP-Team eine von meinen Geschichten erzählen darf. Es wird mir gestattet und ich beginne.

Wie immer hatte Ingrid es brandeilig und sauste wie ein D-Zug die Treppen hinab. Da öffnete sich die Tür einer Wohnung. Die Nachbarin, im Bademantel, gerade der Dusche entsprungen, winkte Ingrid zu sich. Gute Nachbarschaft will gepflegt sein. Also nahm Ingrid sich ein paar Minuten Zeit für einen kurzen Plausch und fragte: „Kann ich dir helfen, bist du krank?“

Hilfe brauchte die Nachbarin nicht, aber etwas wissen möchte sie.

„Also, hm, ich wollt dich schon länger etwas fragen, ich sag es auch bestimmt nicht weiter.“ Sie zögert, doch dann platzt es heraus: „Wer ist der gut aussehende Mann, der fast täglich abends ins Haus kommt? Der kommt doch zu dir?“

„Ja“, meinte Ingrid, „der kommt zu mir.“

Und weiter fragte die Nachbarin: „Ich höre auch immer seine Stimme aus deinem Schlafzimmer.“ Sie beteuert, dass sie wahrhaftig nicht lausche. Ein wenig verschämt sprach sie weiter: „Das mag wohl an deinem offenen Schlafzimmerfenster liegen. Wenn ihr zusammen im Schlafzimmer seid, was erzählt er dir nur dauernd? Eine angenehme Stimme hat er.“

„Stimmt“, meinte Ingrid, „eine angenehme Stimme hat er tatsächlich.“

Nun ist die Nachbarin nicht mehr zu bremsen. „Sag, ist er etwas für’s Herz?“

„Nein“, meinte Ingrid, „das nun nicht gerade. Aber du weißt ja, ich muss mir ein bisschen Geld dazuverdienen.“

Damit lässt sie die verdutzte Nachbarin stehen und läuft, innerlich vor Vergnügen lachend, auf die Straße.

Hier machte ich eine Pause und fragte den Arzt und sein Team, ob er gerne wissen wollte, was der Mann mit der angenehmen Stimme mir ständig erzählte, wenn wir zwei im Schlafzimmer waren. Vielleicht hatte die Nachbarin einen meiner Kommentare gehört „O halt Stopp, das ist ja super, das muss ich mir unbedingt aufschreiben.“

Der Arzt zögerte und meinte dann, „nur wenn es nicht zu intim ist.“

Also klärte ich auf.

Es ist ein Anwalt. Er bringt diktierte Briefe und Schriftsätze auf Tonbändern, die Ingrid abends abtippt, und holt den Text vom Vortag ab. Danach geht er wieder und Ingrid macht sich an die Arbeit. Der Computer steht im Schlafzimmer. Die Bänder hört sie lieber über den Lautsprecher ab. Durch das geöffnete Fenster kann jeder, der lauscht, zwar die Stimmen und evtl. Ingrids Kommentar hören, aber ärgerlicherweise seine Worte nicht verstehen.

Das laut schallende Lachen, verstärkt durch die Kacheln, war weit zu hören. Der Tag des Arztes war gerettet. Sich Stress und Ärger wegzulachen, ist das Beste was es gibt.

Autor: Zwillingsjungfrau

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