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Genießen können

Kolumnistin MaraB setzt sich über Barrieren hinweg: Egal ob es um Generationen oder die Sammelleidenschaft ihrer Familie geht. Lies hier die witzigen Anekdoten. Vielleicht erkennst Du Dich und die Deinen ja wieder

mara B © Mitglied

Genießen können

Heute schreibe ich Euch als „Opern-Kenner“. Ja, ihr habt richtig gehört. Es geht speziell um Wagner, um Bizet und Verdi. Verdi ist mein Liebling. Aber keine Angst. Ich habe nur fünf Opern in meinem Leben gesehen. Und, wie ihr wisst, ich bin keine 20 mehr. Soviel zu meinen wirklichen Kenntnissen.
Meine erste Oper musste ich erleben, als ich 15 Jahre alt war. Carmen von Georges Bizet.

Als ich mit meiner Schulklasse damals in Dresden die Ouvertüre gehört habe, fingen einige Jungen aus meiner Klasse an mit den Füßen zu trampeln. Sie marschierten eben einfach... in Gedanken aus der Oper heraus natürlich, denn keiner von uns Teenies hat in die Oper gewollt. Damals. Die Lehrerin schimpfte und sorgte für Ordnung. Wir waren als Jugendliche einfach nicht vorbereitet auf die Musik. Von der Liebe, die wie ein wilder Vogel ist und die Carmen in „Habanera“ besingt, hatten wir nicht die geringste Ahnung.
Wir haben gelacht wegen der hohen Stimme, irgendeine von uns hat versucht, die hohe Tonlage nachzuahmen. Das ging völlig daneben und da wurde unsere Klassenlehrerin verrückt und schmiss einige raus. Auch mich.

Wenn man so zur Oper kommt, ist man niemals deren Freund. Oder es dauert eine Ewigkeit, denn man braucht Verständnis, Vertrauen in die Musik und Gefühl. Es muss von innen heraus kommen. Diktieren geht nicht.

Meine zweite Oper besuchte ich leider erst etwa 30Jahre später. Aus gutem Grund. Da seht ihr, welche Fehler man als Erzieher, Eltern, Großeltern machen kann oder wie Erziehung das Leben beeinflusst.

Wer kennt ihn nicht, den Gefangenenchor aus Nabucco. Durch einen Titel von Zucchero mit Sinaed o`conner , aber alles andere als operial gesungen, habe ich meinen Ehemann überzeugen können, mich zu begleiten.

Und weil Männer ja immer nach einem Geburtstagswunsch der Ehefrau auf der Suche sind, habe ich gesagt, als ich 45 wurde: Ich möchte gerne zwei Karten für Verdis Nabucco im Sommer unter Sternenhimmel. Eine für dich und eine für mich.
Ein Traum sollte es werden, getragen von einer tiefen Sehnsucht.

Es kam der Tag der Aufführung im Schlosspark Nischwitz. Ich träumte von lauem Sommerabend unter Sternenhimmel. Und wenn dann der Gefangenenchor endlich genau dieses Lied singt, dann wollte ich weinen über all die Schicksale, die die Menschen so im Leben haben über sich ergehen lassen müssen. Gefangenenchor eben. Frauentränen, die Männer nie verstehen würden. Einige zumindest nicht.

Der Wetterbericht sprach aber eine ganz andere Sprache. Es regnete schon den ganzen Vormittag. Mitten im August. Es war nicht zu fassen. Am Schlosstor verkaufte man Regencapes für 2 DM. Damit wir nicht im Nassen sitzen blieben. Natürlich kauften wir.

In der ersten halben Stunde regnete es und es regnete auch nicht. Die plastiktütenähnlichen grauen Capes raschelten alle auf einmal.
Alle Zuschauer saßen entweder mit grauen Regencapes oder mit Schirmen in der Hand aufgereiht, wie in einem Mäusezirkus.
Nach einer halben Stunde wurde der Regen intensiver. Um die Vorstellung nicht abzubrechen, kamen lauter Sonnenschirme mit oder auch ohne Imprägnierung auf die Bühne gelaufen und bewegten sich über den Chorsängern.

Alles sah aus wie bewegende Pilze im nassen Regenwald.
Und davor saßen viele graue Zwerge.

Ich musste lachen und schwatzte mit meinem Ehemann. Ich weiß, das macht man nicht. Das Regenwasser tropfte mir in den Hals..... Die Dame vor mir drehte sich um und verwarnte mich.
Sie hielt dabei ihren Schirm so nach hinten, dass das Regenwasser noch mehr auf mich herab rieselte. Ich bat sie, doch den Schirm anders zu halten, da gackerte die nächste....... Jetzt musste ich erst recht lachen und da vorn sang der Gefangenenchor Va Pensero.

Welch eine tragische Komik.
Keine Emotionen. Keine Freudentränen wegen der schönen Musik. Und dabei hatte ich mich die ganze Zeit so darauf gefreut.

Die Sänger hielten fast bis zum Schluss durch. Bewundernswert. Ich hielt auch durch. Vor allem beim Applaus. Die Dame vor mir hatte es scheinbar eilig. Oder keine Ahnung von im Regen stehenden Ovationen. Da kenne ich nichts. Habe sie natürlich gefragt, ob es ihr nicht gefallen hat.

Aber sie schenkte mir nur ihre Arroganz.

Nach dem wieder 10 Jahre vergangen waren, besuchte mich eine Freundin aus dem Ruhrgebiet.
Auf unserem Programm stand eine moderne Variante des fliegenden Holländers in der Oper Leipzig.

Steuermann! Lass die Wacht! Ich machte mich auf Gewaltiges gefasst.

Naja... wie ein Sturm eben.
Meine Anne warnte mich wegen der Freiheiten der Intendanten und Regisseure.

Bühne auf. Pappkisten über Pappkiste, mit Löchern und Licht. Wie die unterschiedlich großen Hochhäuser einer Stadt.

Düstere und impulsive Klänge schlugen schon mit der Ouvertüre gegen mein Musikverständnis.
Wuff !!!! Wie eine Ohrfeige.

10 Minuten lang überlegte ich, gehen oder nicht gehen. Bleiben oder nicht bleiben. Anne starrte ohne Reaktion nur gerade aus. Wir saßen ganz vorn in der 5. Reihe. Mir war, als hätte jemand einen Durchhaltebefehl gegeben.

Die Musik war wie ein Sturm, nein wie ein Orkan. Natürlich, was sonst und die Pappkisten waren die Wellen des Meeres. Darauf muss man aber erst einmal kommen!

Nach einer viertel Stunde war ich endlich neugierig geworden auf die Umsetzung Wagners fliegenden Holländers im 21. Jahrhundert. In Leipzig. Im Jahre 2008.

Irgendwann in einem Akt stand eine Duschkabine auf der Bühne. Eine Frau duschte in Echt hinter Milchglas und stritt mit ihrem Ehemann.

Einige Zuschauer verließen jetzt den Saal. Weitere. Ich bin überzeugt, sie wussten von der modernen Inszenierung. Ja, jeder hat halt so seine Prinzipien. Oder auch keine.

Das konnte ich nicht verstehen, ich saß ja schließlich auch noch da.
Die Oper hat mir nicht gefallen, weil ich eine schöne Melodie brauche. Aber die Umsetzung war interessant und dafür hatte ich Bewunderung.

Ich habe überhaupt Bewunderung für Künstler. Meinen Applaus hatten die Sänger und deren Mitstreiter. Auch den von Anne und einigen anderen Leuten.
Meine vierte Oper erlebte ich vor drei Jahren im Hochsommer unter dem Sternenhimmel von Verona. 30 °C bis in die Nacht hinein. Mein Begleiter und ich saßen in der höchsten Platzkategorie der sagenumwobenen Arena in fast 25 Metern Höhe. Ich liebte, litt, fühlte und verzweifelte mit Aida.
Die Arien von Radames und Aida am Ende der Oper gehen so nahe, dass man weinen muss, weil eine Liebe keine Zukunft haben kann, wenn sie in einer Dreierbeziehung vernetzt ist.

Was hat man in den letzten einhundert Jahren nicht alles erfunden. Aus alten Zellen kann man sogar embryonale machen aber in Sachen Liebe, da hat sich bis heute nichts verändert.

Als ich die vielen Stufen der Arena am Ende alleine herunter schritt ( Mein Begleiter hatte leider nicht durchgehalten), dachte ich, niemals ist diese Aufführung zu toppen.

Ich dachte es nur, aber da gab es 2012 eine La Traviata in Leipzig, deren Aufführung und Inszenierung seines Gleichen sucht. Beeindruckend , gefühlvoll, einfach eine musikalische Glanzleistung.
Man muss sie lieben, die Musik von Verdi, Bellini und Co.
Wie sagte schon Viktor Hugo:
„Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.“

Ich grüße alle Opernfreunde und die, die es noch werden wollen...
und bin gespannt auf „Rigoletto“ im November.

Autor: MaraB

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