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Planeten

Der Planet, auf dem die Prinzessin geboren worden war, war sehr klein. Es war gerade so viel Platz darauf, wie ein Dorf brauchte. Der Vater war der Pastor dieses Dorfes und der Sonntag war noch ein Feiertag, der mit dem Kirchgang begann. Die Mutter hatte Gänse im Garten und wenn im Dorf ein Kind geboren wurde, besuchte sie die Familie mit einem selbstgestrickten Babyjäckchen.

Als dann noch eine kleine Prinzessin geboren wurde, war die Familie komplett. Der Vater war sehr stolz: „Meine kleinen Prinzessinnen“, sagte er oft. „Die Prinzessinnen sind sich wohl zu fein zum Abwaschen?“ konnte man auch hören, aber das war sehr viel später und auch von der Mutter zu hören. Es ließ sich alles wohl an, doch … von diesem Planeten wurde die Familie vertrieben. Der Vater verschwand ganz.

Die Prinzessin kam mit Mutter und Schwester zu einem Planeten, auf dem stand eine richtige Burg. Der Planet hieß Schwalenberg und es gab eine Menge Kinder dort. Die Mutter wohnte im Turm und durfte nicht besucht werden. Am schönsten waren die Mahlzeiten. Es gab oft Lieblingssuppe: Haferflockensuppe mit Rosinen drin. Am Sonntag gab es dünnen Kakao. Darauf konnte man sich die ganze Woche freuen. Auf diesem Planeten konnte die Prinzessin nicht lange bleiben. „Warum?“ wollte sie fragen. Aber sie wusste nicht, wen.

Nun kam sie zu einem Planeten mit einem großen Pastorenhaus. Das Schönste war der riesengroße Bauerngarten drumherum. Stundenlang saß sie in der Sonne und bewunderte den filigranen Bau der Akelei und die schillernden Blautöne der Blüten, sie trank sich voll vom schweren Duft der Rosen oder sie kletterte auf einen Baum – ungesehen von unten, über sich den Himmel und schaukelte sanft – frei frei frei. Glücklich.

Das Glück dauerte nicht lange. „Warum?“ wollte sie fragen, doch sie wusste nicht, wen.

Ein riesengroßes Kloster stand auf dem nächsten Planeten. Der Vater war auf einmal auch wieder da. Der Herr des Klosters war ein ziemlich brummiger Mann. Kinder fand er eine lästige Erfindung. Er hatte eine Haushälterin und viele Schafe. Von der Milch machte die Haushälterin Käse. Auch sonst hatte er sehr viel zu essen. In seinem großen Garten waren schöne Apfelbäume mit wunderschönen Äpfeln. Wenn er nicht aufpasste, klaute die Prinzessin ihm den schönsten.

Wenn der Vater gute Laune hatte – und so oft kam das nicht vor – holte er seine Zupfgeige – heute würden wir Gitarre sagen – und sang mit seinen Prinzessinnen den Zupfgeigenhansel rauf und runter. Wen soll ich nach Rosen schicken – rote Rosen auf meim Hut, die hab ich gern, die stehn mir gut, Rosen auf meim Hütchen.

Oder er erzählte Geschichten. Geschichten, die in keinem Geschichtenbuch standen. Alles war in seinem Kopf. Und seine Prinzessinnen quälten ihn – noch eine Geschichte – er stöhnte: Ihr quetscht mich aus wie eine Zitrone! Und er erzählte noch eine Geschichte.

Auch auf diesem Planeten blieb die Prinzessin nicht lange. Auf dem nächsten Planeten stand ein kleines Haus in einem kleinen Dorf und die Prinzessin musste in der Schule viel lernen und der Vater wurde krank und die Mutter war mit ihren Gedanken woanders.

Und da lernte die Prinzessin den Planeten der Liebe kennen. Zuerst sah er ja gar nicht danach aus. Er sah auch nicht sehr groß aus. Es begann damit, dass die Mutter unheimlich gern tanzte – damals tanzte man als Pastorenfrau, wenn man allein ausging, Volkstanz.

Damit sie abends nicht allein mit dem Fahrrad 10 km fahren musste, nahm sie die Prinzessin als Begleitschutz mit. Mit ihren 15 Jahren war sie ja auch schon ziemlich groß.

Ja, und da gab es einen jungen Mann, der unbedingt seine Sportzensur verbessern wollte und bei seinem Sportlehrer einen Tanzkurs mitmachte – Volkstanz natürlich. Das verbesserte die Zensur mindestens um einen Punkt.

Und es dauerte eine geraume Weile, bis sich die Prinzessin und dieser junge Mann überhaupt etwas näher kennenlernten. Dann durfte er erst einmal die beiden Damen sehr oft nach Hause bringen. Von der Georgstraße nach Etzhorn und wieder zurück zum Dobben. Dann dauerte es wieder eine ganze Weile, bis sich langsam – o so langsam, kann sich heute kein Kind mehr vorstellen wie langsam – sich aus dem jungen Mann der Prinz herausschälte, der für die Prinzessin bestimmt war. Inzwischen war der Planet gewachsen – die Prinzessin beschloss, hierzubleiben und sich von niemandem mehr vertreiben zu lassen.

Und der Planet bevölkerte sich: Drei außergewöhnliche Kinder kamen dazu und jede dieser Familie ging ihren eigenen Weg und – oh Wunder – kamen immer wieder auf diesem Planeten zusammen.

Inzwischen sind die außergewöhnlichen drei Kinder ausgeflogen und wurden durch zwei außergewöhnliche Katzen ersetzt. Das hat eine Menge Vorteile. Ihr müsst nur die Katzen fragen.

In aller Ruhe und Gemütlichkeit fing die Prinzessin an, sich eine Rakete zu bauen. Wozu? Die Planeten hatten es ihr angetan. Ihr Leben war an einem Planeten angekommen, aber ihre Reiselust – die Neugier auf die vielen anderen Planeten – war ihr geblieben. Mit der eigenen Rakete sauste sie nun zum Planeten der Pädagogen.

„Was macht ihr da?“ fragte sie. „Wir sind sehr wichtig“, bekam sie zur Antwort. „Wir machen aus kleinen wilden Tieren zivilisierte Menschen!“ „Ach, so ist das“, sagte die Prinzessin und sie versuchte ebenfalls, aus kleinen wilden Tieren zivilisierte Menschen zu machen.

Ein andermal besuchte sie den Planeten der Puppen und der textilen Gestaltungen. „Wozu macht ihr das?“ fragte sie die Puppenmacherinnen und die antworteten: „Unsere Kinder sehen doch ganz echt aus, sieh nur, wieviel Freude sie den Leuten machen.“ Und tatsächlich – unendlich viele Frauen und auch Männer lieben Puppen, machen Puppen und verkaufen Puppen. „Ach so ist das“, sagte die Prinzessin und sie versuchte ebenfalls, Puppen zu machen – weinende, verzweifelte, wütende, traurige – und auf den Ausstellungen sagten die Leute: „So sehen doch keine Puppen aus!“

Der letzte Planet, den die Prinzessin besuchte, war der Planet der Politiker: „Was macht ihr da?“ fragte sie die Politiker. „Wir sind sehr wichtig“, antworteten sie. „Ohne uns ist die Welt ein Chaos. Wir bringen Ordnung in die Welt. Wir bestimmen, was gemacht wird. Wir setzen die Prioritäten. Wer uns wählt, hat schon gewonnen. Wir kümmern uns um alles. Zu jedem Problem haben wir eine Meinung. Wir entscheiden, wir bestimmen, wir setzen Markzeichen für die Zukunft – sie werden noch alle reden von uns. „Ach, so ist das“, sagte die Prinzessin und versuchte, wichtig zu sein, Prioritäten zu setzen, den Markstein Kultur in alle Köpfe zu pflanzen – und wenn sie jemanden fragte: “Möchtest du heute frühstücken oder stattdessen ein Gedicht hören?“ Kultur als Lebensmittel – erwartete sie natürlich die Antwort: „Ein Gedicht zum Frühstück ist das Höchste.“

Heute nimmt die Prinzessin ihre Rakete auseinander, ölt alle Teile sorgfältig, um sie anschließend wieder zusammenzusetzen. Die Rakete muss für die nächsten Einsätze in Schuss sein. Es gibt noch so viele Planeten zu entdecken...

Wenn ihr mal nachts nicht schlafen könnt und in den Sternenhimmel schaut, könnte es sein, dass Ihr einen leuchtenden Punkt seht, der quer übers Firmament fliegt. Das ist mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit die Prinzessin, die mit ihrer Rakete zu einem der vielen, vielen unerforschten Planeten saust.

Autor: kindermut

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