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Elke erinnert sich an ihre Zeit als Enkel

„Pass auf Elke auf, das wird ein Feger“, wurde meine Mutter von ihrer Schwiegermutter gewarnt. Zeit meines Lebens habe ich mich gefragt, wie Oma zu so einem Urteil kommen konnte. Wir haben uns nicht oft gesehen und eine längere Zeit waren wir auch nicht zusammen. Ich hatte nie das Gefühl, dass sie mich liebte. Aber von Anfang an:

Wir leben in Badenstedt, einem Vorort von Hannover. Die Großeltern in einem anderen, in Körtingsdorf, nicht weit von uns. Meine früheste Erinnerung ist die, dass wir bei den Großeltern waren, als ich gerade laufen konnte. Mit einer Schwester meines Vaters war ich draußen auf der Straße und wollte unbedingt zum Dorfweiher, zu den Enten. Es gab Gebrüll, als ich immer wieder gestoppt wurde.
Nächste Erinnerung: Ich bin noch nicht in der Schule. Oma will Kuchen backen. In Ermangelung von Nüssen müssen Tanten in den nahen Wald, Bucheckern suchen. Ich darf mit und sammele in meine Schürze.
Opa hat einen dicken Knubbel auf der rechten Backe. Wenn ich drauf drücke, macht er „Pööötpött“ und wir lachen. - Adda ist die Schäferhündin. Sie hat Junge, eins davon heißt Dolf, ich bin begeistert. Der Garten von Oma und Opa reicht bis an den Bahndamm.

Mir, knappe 6 Jahre, wird ein sehnlicher Wunsch erfüllt: Ich bekomme zu Weihnachten ein fernlenkbares Auto. Wenig später aber holt Opa das Auto ab und tauscht es gegen eine Tür ein, die er für einen Umbau benötigt. Mein Schmerz rührt ihn nicht. Zum ersten Mal fühle ich wie das ist, wenn „das Herz blutet“.

Martinstag: Als wir Nachbarskinder unsere Umgebung „abgesungen“ haben, ziehe ich alleine weiter nach Körtingsdorf. Ich will zu den Großeltern und muss unter einer dunklen Eisenbahnbrücke durch. Trotz aller ‚Manschetten’ schaffe ich den Weg. Oma ist sehr erstaunt, als sie mich allein vor der Tür stehen sieht. Ob mich jemand nach Haus gebracht hat, weiß ich nicht mehr. Jedenfalls hat es ein „schönes Donnerwetter“ gegeben.

Cousin Klaus ist 18 Monate jünger als ich und erklärter Liebling der Großeltern. Er bekommt tolle Geschenke, einen Fotoapparat zum Beispiel, den er mir stolz zeigt. Er ist öfter bei den Großeltern als ich. In seiner Unbedachtsamkeit erzählt er mir jedes Mal, wenn er etwas bekommen hat. Noch heute freue ich mich darüber, dass ich nie neidisch war. Wohl aber merkte ich ein seltsames Ziehen in der Brust. Nur einmal, als wir beide gleichzeitig bei Oma und Opa waren – die sind inzwischen umgezogen, ans andere Ende der Stadt, nach Stöcken – werde ich zum Einkaufen mitgenommen. Klaus wird eingekleidet. Ich bekomme einen blauen Mantel.
Wie meine anderen Cousins und Cousinen von Oma und Opa angenommen wurden, weiß ich nicht mehr.
Meine Familie „wandert aus“ und lässt sich in NRW nieder. Ab und zu besuchen uns die Großeltern und bringen was mit. Da es uns nach einem Bankrott schlecht geht, sind Lebensmittel im Gepäck und für mich und meine Geschwister auch mal Schokolade. Wegen der wirtschaftlichen Schwierigkeiten werden meine Brüder von Oma und Opa für ein halbes Jahr aufgenommen. Ich bin bei Muttis Schwesterfamilie und fühle mich da sehr wohl. Ab und zu fahre ich mit der Straßenbahn nach Stöcken und besuche meine Brüder. Ich werde auch auf Ausflüge mitgenommen.


Wir besuchen die Großeltern in Trittenheim an der Mosel, wo sie eine Kur machen. Ich sehe einem Angler zu. Beim Zurücktreten lande ich auf einem Sack, in dem die gefangenen Fische sind. Das tut mir unendlich leid. Dass die Tiere nicht mehr lebten, war mir nicht gewärtig.
Dann fahren Oma und Opa mit meinen Eltern und mir am Rhein entlang. Ich werde auf ein Kloster hingewiesen und will wissen, ob da lauter Toiletten drin sind. (Bei uns sagten wir zu Klo auch Kloster.) Wir besichtigen die Marksburg, zu der ich bis heute ein besonderes Verhältnis habe, weil ich vorher mehrmals von der Burg träumte und hier ein Déjà-vu-Erlebnis hatte.
Großeltern genießen ihr Rentnerdasein in Groß Häuslingen. In dem heißen Sommer 1957 verleben wir dort unsere Sommerferien. Mein Bruder feiert da seinen 10. Geburtstag.

Zur Konfirmation bekomme ich eine Armbanduhr, die mir Jahre später geklaut wird, eine Schürze und Geschirrtücher.
Meine Eltern halten mich sehr zurück, wenn ich mich mit Klassenkameraden treffen will oder sich Freundschaften mit jungen Männern anbahnen. Da bekomme ich dann den „Feger-Satz“ zu hören. (Oma hat damals schon gesagt....)

Meinem Verlobten begegnen die Großeltern freundlich.
Kurz vor meiner Hochzeit wird Opa beerdigt. Die anschließende Trauerfeier geht recht fidel vonstatten. Wir überlegen kurz, ob wir unsere Hochzeit verschieben sollen. Aber alle sind dagegen, das hätte Opa nicht gewollt.

Oma zieht zu ihrer Tochter, meiner Patentante. Ab und zu schreibe ich und berichte ihr von meinem neuen Leben in Ostfriesland. Als unser Sohn geboren wird, bekommt meine Patentante die Nachricht mit der Bitte, auch Oma Bescheid zu sagen.
Oma schreibt mir darauf, dass sie uns zum Stammhalter gratuliert. Da ich es aber nicht für nötig befunden habe, sie als erste zu informieren, bekomme ich statt der 500 DM, die sie ihrem ersten Urenkelkind zugedacht hat, nur 20 DM.

Danach bricht der Kontakt ab. Nach ihrem Tod bekommt mein Vater einen Teil ihres Nachlasses. Ein langes Nachthemd ist dabei: Blauer Flanell mit Blümchen, sehr lang und warm. Das trage ich, bis es fast auseinander fällt. In meines Vaters Nachlass finde ich später unfreundliche Briefe, die Oma ihm geschrieben hat. Ein Familienkrach, gleich nach dem Krieg entstanden, schwelte all die Jahre vor sich hin und wurde nie bereinigt.

Manchmal habe ich Angst, dass ich meiner Oma ähnlich werde. Manchmal sieht sie mir aus dem Spiegel entgegen. Alles mache ich sicher auch nicht richtig. Aber niemals werde ich eines meiner Enkelkinder vorziehen.

Autor: egalis

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