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Kindheit in der Nachkriegszeit – ohne TV, PC und Game Boy

Mit feinem Humor und viel Selbstironie beschreibt unsere Kolumnistin Edda, bei Feierabend als Niagara bekannt, ihren nicht immer ganz leichten Alltag.

Eddas Allerlei

Kindheit in der Nachkriegszeit – ohne Fernseher, Computer und Game Boy

„Ohne Fernseher, Computer und Game Boy musst du dich als Kind doch schrecklich gelangweilt haben“, bedauerte mich neulich meine neunjährige Enkelin.

Langeweile – das war ein Fremdwort für mich. Ende der vierziger Jahre kam höchstens einmal in der Stunde ein Auto durch unsere Straße. Wir spielten mitten auf der Fahrbahn Völkerball, von unseren Müttern zum Leisesein ermahnt, wenn der Bergmann nach seiner Nachtschicht tagsüber schlief, immer jedoch – ob laut oder leise – von Fräulein W. aus ihrem Fenster im zweiten Stockwerk argwöhnisch beäugt und beim geringsten Anlass (und sie fand viele und immer neue Gründe) keifend kritisiert.

Die Platane steht heute noch in der Grünanlage, an deren Ästen wir schaukelten. Zwischen den Sträuchern und Büschen spielten wir Verstecken. Einmal, ich hockte in einem Bombentrichter wo mich niemand fand, wurde ich einfach vergessen. Die anderen übten sich inzwischen im Weitsprung, als ich missmutig hervorkam. Beleidigt schaute ich eine Weile zu, da aber niemand meine schlechte Laune beachtete, nahm ich bald an dem neuen Zeitvertreib teil. Die Erwachsenen lagen im Fenster und schauten unseren Spielen zu. Die Ärmsten besaßen ja noch kein Fernsehgerät. Aber wahrscheinlich hatten sie genauso viel oder sogar noch mehr Spaß, als wenn man heute vor der Glotze sitzt und sich eine Reality Show ansieht.

Wir sammelten von den Besatzungssoldaten fortgeworfene Kippen, aus deren Tabak unsere Väter Zigaretten drehten. Manchmal, wenn unsere Beute zu klein war, nahmen wir Blätter von einem wilden Kirschbaum mit, die getrocknet und zerbröselt in der Pfeife geraucht wurden.

Unsere Mütter beglückten wir zum Muttertag mit Flieder und Goldregen, gepflückt in den verwilderten Grünanlagen. Den städtischen Aufsichtsbeamten, der hier täglich seine Runden drehte, nannten meine Spielgefährten und ich Zwanzigmark, weil er uns immer wieder eine Strafe in dieser Höhe androhte, sollte er uns je mit geklauten Blumen erwischen. Selbst wenn wir kein schlechtes Gewissen hatten, flohen wir vor ihm. Einmal stolperte ich in meiner Hast und fiel die Kolumbustreppen hinunter. Warum wir diese Treppe so nannten, weiß ich heute nicht mehr. Aber die Narbe von den an der vorderen Kante mit Eisen beschlagenen Stufen ziert noch immer meine Stirn.

Ein wunderbarer Abenteuerspielplatz waren auch die Trümmergrundstücke. Da denke ich besonders an die zerstörte Kirche an der Ecke, dort wo heute eine Grundschule steht. Ob unsere Eltern überhaupt von unseren stundenlangen Aufenthalten dort wussten? Ich kann es mir nicht vorstellen, sie wären wohl kaum damit einverstanden gewesen.

Im Sommer war Reitturnier angesagt. Wir stapelten zwei Pfähle aus Ziegelsteinen, legten einen kleinen Ast darüber und waren selbst die Pferde, die über diese Hindernisse sprangen. Ich muss leider zugeben – und das ist mir als echtes Aachener Mädchen heute peinlich – dieses Spiel liebte ich damals mehr als das wirkliche Reitturnier. Am Schülertag regnete es immer – so kommt es mir jedenfalls in meiner Erinnerung vor – und wir mussten durchnässt bis zum Schluss ausharren. Heute verstehe ich, aus Aufsichtspflichtgründen durften wir uns nicht einfach nach Hause absetzen, aber damals waren meine Schulkameradinnen und ich ganz schön wütend auf unsere Lehrerin.

Im Herbst wurden in einer Ecke vor dem Bunker in der nahegelegenen Allee die zusammengefegten Blätter der Lindenbäume aufgehäuft. Wir sprangen mit Kribbeln im Bauch aus luftiger Höhe hinunter und landeten sanft in der hohen weichen Blätterschicht. Die Bunkertür stand eine Zeitlang offen und wir unternahmen mit Kerzenstummeln Ausflüge in das Innere, die allerdings schnell endeten. Angesichts der unendlichen tiefschwarzen Dunkelheit verließ uns rasch der Mut und wir eilten zurück ans Tageslicht.

Im Winter unternahmen wir Schlittenfahrten auf den Wiesen am Ludwigsweiher und schlitterten auf dem zugefrorenen See. Einmal fanden wir dort im Gebüsch einen Kelch, der Tage zuvor bei einem Einbruch aus der Kirche Heilig Kreuz gestohlen worden war. Keiner von uns wagte, das gesegnete Gefäß zu berühren. Stattdessen holte meine Schwester den Pastor, der den wiedergefundenen Schatz überglücklich in die Kirche zurücktrug – ohne Danke zu sagen. Na ja, vielleicht hatte er das in der Aufregung vergessen.

Auch ohne Fernseher, Computer und Game Boy (jawohl, sogar die Oma besitzt jetzt einen Game-Boy für Gehirn-Jogging, Suduko und Englisch-Training), war es eine wunderbare Zeit, in der wir uns nie langweilten.

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