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Zurück ins Früher: Wie das Böhm-Modell Menschen mit Demenz erreicht

Demenz verändert den Alltag grundlegend – nicht nur für die Betroffenen selbst, sondern auch für Angehörige und Pflegekräfte. Wenn sich Namen, Orte und Gewohnheiten auflösen, geraten viele in eine tiefe Verunsicherung. Doch es gibt Ansätze, die nicht beim Verlust ansetzen, sondern an dem, was bleibt: Gefühle, vertraute Eindrücke und persönliche Erinnerungen.

Ein solcher Ansatz ist das Pflegemodell nach Erwin Böhm. Es wurde in den 1980er-Jahren von dem österreichischen Pflegeexperten entwickelt. Sein Konzept geht davon aus, dass viele emotionale Erinnerungen – vor allem aus der Kindheit und Jugend – auch bei fortschreitender Demenz erhalten bleiben. Das Ziel: die Pflege so gestalten, dass diese „gefühlte Erinnerung“ gezielt angesprochen wird und so Orientierung, Sicherheit und Wohlbefinden entstehen.

Jüngere Hand, die eine ältere Person am Arm stützt

Biografiearbeit als Schlüssel

Ältere Hand, die nach Werkzeug greift

Statt allgemeiner Betreuung setzt das Böhm-Modell auf individuelle Zugänge. Wer früher im Handwerk gearbeitet hat, bekommt vielleicht einen alten Werkzeugkasten in die Hand – vertraute Griffe, vertrauter Geruch. Wer in jungen Jahren viel genäht hat, darf Stoffe sortieren oder Knöpfe in Dosen klimpern lassen. Auch Musik spielt eine zentrale Rolle: Lieder aus der Jugendzeit, etwa ein alter Schlager oder ein Kirchenlied, können plötzlich Türen öffnen, die lange verschlossen schienen.

Gerüche sind ein weiteres wichtiges Element. Der Duft von frisch gebackenem Apfelkuchen oder eingelegtem Sauerkraut kann Erinnerungen wachrufen, die im Gespräch nicht mehr abrufbar sind. In einigen Einrichtungen wird sogar mit „Geruchsstationen“ gearbeitet – dort duftet es zum Beispiel nach Heu, Bohnerwachs oder Lavendel, je nach Generationserfahrung der Bewohner.

Räume, die Geschichten erzählen

Ein wichtiger Bestandteil des Modells ist auch die Gestaltung der Umgebung. In manchen Pflegeeinrichtungen wird bewusst auf Elemente aus den 1950er- oder 1960er-Jahren gesetzt: Fliesen wie in alten Küchen, Möbel mit Patina, Gardinenmuster von früher. In einem Pflegeheim wurde sogar ein Tante-Emma-Laden nachgebaut – mit Bonbongläsern, Gewichten auf der Waage und Leergutkisten. Diese Kulissen sind keine Spielerei, sondern sollen das Gefühl von Vertrautheit schaffen, das bei Demenz oft verloren geht.

Chancen und Anforderungen

Hand, die ein altes Foto hält

Der Ansatz hat viele Vorteile: Menschen mit Demenz zeigen häufig weniger Unruhe oder Rückzug, wenn sie sich in ihrer Umgebung wiedererkennen. Statt in die passive Rolle eines Patienten gedrängt zu werden, erleben sie sich aktiv – als jemand, der etwas weiß, etwas kennt, etwas tut.
Gleichzeitig erfordert dieser Ansatz viel Vorbereitung. Pflegekräfte müssen sich intensiv mit der Biografie der Bewohner auseinandersetzen – Gespräche mit Angehörigen, das Sichten alter Fotos oder früherer Lebensstationen gehören dazu. Auch eine gute Beobachtungsgabe ist nötig: Nicht jede Reaktion ist eindeutig, nicht jeder Impuls wirkt sofort.

Ein Modell mit Zukunft

Immer mehr Einrichtungen in Deutschland und Österreich greifen die Ideen des Böhm-Modells auf. Angesichts der wachsenden Zahl von Demenzerkrankungen könnte dieser biografisch orientierte Ansatz eine wichtige Rolle spielen – gerade dort, wo standardisierte Pflege an ihre Grenzen stößt.

Fazit

Das Böhm-Modell zeigt, dass Würde, Lebensfreude und Teilhabe auch im fortgeschrittenen Stadium einer Demenz möglich sind. Wer Erinnerungen wachruft – mit Musik, Gerüchen, Bildern oder Ritualen – holt Menschen ein Stück weit ins Hier und Jetzt zurück. Es geht nicht darum, was vergessen wurde, sondern um das, was geblieben ist.

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Themen > Gesundheit > Demenz > Zurück ins Früher: Das Böhm-Modell