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Ein kleines Herz - von Reineke1974 / Ulrich

Als Rüdiger noch zur Schule ging, gab es diese Buchstabenfolge als Abkürzung noch gar nicht: L-R-S. Die sogenannte Lese-Rechtschreib-Schwäche verbarg sich hinter dieser Buchstabenkombination. Das, was man also viele Jahre später erst erkannt hat, war es, worunter Rüdiger als Schüler seit dem Schuleintritt gelitten hatte. Es war aber auch das, was ihn über die gesamte Schulzeit im Fach Deutsch zu einem schlechten Schüler abgestempelt hat. - Pech gehabt, könnte man meinen.

Später dann, er hatte es im Lesen zu einer gewissen Fertigkeit gebracht, war er mit seinem Leben trotz dieser Schwäche ganz gut zurechtgekommen. Das Fatale war ja, dass ihm Sprache so gefiel, ihre Melodie, dieser Reichtum an Begriffen und die vielen Möglichkeiten, Dinge zu beschreiben, Gefühle auszudrücken, die Buntheit der Welt in so mannigfacher Weise darstellen zu können.

Als Rentner hatte er sich vor Jahren unter dem Pseudonym „Weißichnicht“ einer Gemeinschaft von über 60-jährigen angeschlossen, die im Netz für alle möglichen Interessen etwas anbietet. „Ichbinsofrei“ der Name dieser Organisation, in der er sich in verschiedenen Foren angemeldet hatte. Am liebsten las er in dem Forum „WortfürWort“, in dem die Mitglieder Geschichten aus ihrem Leben, ihrer Fantasie oder Träumen einstellen können. Nein, schreiben wollte und konnte er da nicht, doch lesen wollte er täglich in diesem Forum, da vielfach Belange seiner Altersgruppe zur Sprache kommen und er genau sie, diese Sprache eben, so sehr liebt, wenn sie in ihrer Schönheit ins Schwingen gebracht wird. Außerdem, und das ist wohl der Hauptgrund seines Interesses für das Forum „WortfürWort“, gibt es da den „WeißenSchleier“.

Weshalb sie das Pseudonym gewählt hat, weiß Rüdiger nicht. Er weiß jedoch aus ihrer Visitenkarte, dass sie Isabell heißt, im Badischen Raum lebt und eines kann, nämlich wunderschön schreiben. Wenn das Foto nicht zu alt ist, hat er sogar eine Vorstellung davon, wie sie aussehen mag. Er liebt ihre Schreibweise. Er ist begeistert von ihrem Stil, könnte sich manchmal geradezu in Formulierungen wälzen, wenn sie Dinge beschreibt oder ihre Gefühle durchscheinen lässt in einem Text. Präzise sind Worte gesetzt und doch lesen sich die Beiträge so locker, teils beschwingt und leicht, dass das Lesen selbst ihm Freude bereitet.

Rüdiger ist sich sicher, noch keinen Beitrag von ihr verpasst zu haben, seit er Mitglied bei „Ichbinsofrei“ ist. Jedes Mal, hat er von ihr einen Text gelesen, lässt er sich in seinem Bürostuhl, der vor dem Schreibtisch mit dem PC steht, zurückfallen, schließt er die Augen und lässt die Geschichte noch einmal gedanklich vorüberziehen, um dann -hie und da- nach Stellen zu suchen, die ihm sprachlich besonders gut gefallen haben. Dann aber, das ist der Höhepunkt nach einer Geschichte von „WeißerSchleier“, klickt er auf das kleine Herz das man alternativ zu einem Kommentar zu der Geschichte anklicken kann. Ja, manchmal, ganz selten zwar, wenn er meint vor lauter Begeisterung zu platzen, dann klickt er nicht nur auf das Herz, sondern schreibt außerdem in die Zeile für den Kommentar vielleicht ein Wort oder gar drei. „Schön“ oder „Ach wie schön“. Mehr zu schreiben, traut er sich nicht, denn was soll er denn machen, wenn sie ihm gar antwortet? Es ist so. Am liebsten vergibt er ein Herzchen. Er kann anonym bleiben und bloßstellen muss er sich auch nicht mit seiner Schreibschwäche.

Isabell, vor wenigen Tagen 73 geworden, ist schon seit vielen Jahren Witwe. Mehr durch Zufall ist sie auf „Ichbinsofrei“ vor mehreren Jahren gestoßen. Schnell hatte sie bemerkt, dass ihr das Schreiben Freude bereitet und noch mehr die Reaktionen, wenn sie einen Beitrag in das Forum „WortfürWort“ gestellt hat. Natürlich ist ihr nicht entgangen, dass von Beginn an, nach jedem Beitrag sich ein Herz eines Fans mit dem Pseudonym „Weißichnicht“ auf der Seite mit ihrer Geschichte fand und manchmal sogar ein knapper Zuruf in dem Feld für den Kommentar zu finden war. Ja, dieses Herzchen von dem heimlichen Verehrer, gehörte eigentlich schon zu ihren Beiträgen. Aufmerksam wurde Isabell dann eines Tages, als die Herzchen ausblieben. Beunruhigt war sie einerseits, merkte andererseits aber auch, wie sehr ihr das Ausbleiben dieses schlichten Symbols in Wirklichkeit fehlte. Selbst nachdem sie mehrmals die Visitenkarte von „Weißichnicht“ angeklickt hatte, erfolgte keinerlei Reaktion. Aus der Unruhe erwuchs bei Isabell eine Befürchtung, die sie nicht zu Ende denken wollte. Bald merkte sie, dass ihre Lust am Schreiben sogar nachließ. Immer seltener meldete sie sich zu Wort, wurde ihr doch erst jetzt bewusst, wie viel ihr dieses alberne, dieses lächerliche Herzchen von Rüdiger, von „Weißichnicht“, doch bedeutet hatte.

Geahnt hat sie es, doch nie offiziell hat sie es erfahren: Das Herz von „Weißichnicht“, von Rüdiger also, war am späten Nachmittag des 21.September 2021 einfach stehen geblieben............einfach so.

Autor: Reineke1794

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