08. Basler Träff 2015
Zum 8. Basler Träff 2015 hatte Käthe die FA-Freunde der Regiogruppe Basel auf den „Balkon des Markgräfler Landes“ geladen und 21 kamen, zu einem Spaziergang durch Ötlingen. Für etliche dieser Spaziergänger war der Nachmittag ein Wiedersehen mit dem ungewöhnlichen Ort. Andere, darunter auch ich, erlebten ihn zum ersten Mal.
Beim Zusammentreffen auf dem Parkplatz hinter der Mehrzweckhalle konnte ich noch nicht ahnen, wieviel Reizvolles sich finden lässt. Unsere Führerin, Frau Monika Merstetter erwartet uns und wir erinnern uns gleich gern daran, mit welcher Freude und ansteckender Begeisterung sie uns im Oktober 2013 durch Alt-Weil geführt hat. Und, ich will es gleich vorweg nehmen, kompetent und mit fröhlicher Gelassenheit gab sie auch dieses Mal ihr reichhaltiges Wissen an uns weiter.
Zunächst gab sie uns ein paar Grunddaten mit auf unseren Weg. Die erste urkundliche Erwähnung des Ortes, unter dem Namen „Ottlinchoven“ findet sich 1064 im Pestarchiv Wien. Der Ort ist aber sicherlich älter, archäologische Funde belegen, dass die Geschichte der Kirche bis ins 8. Jahrhundert zurückgeht.
1971 trat die Gemeinde Ötlingen freiwillig im Rahmen der Gemeindereform der Stadt Weil am Rhein bei und ist seitdem ihr höchstgelegener Stadtteil. Gute Sportstätten ermöglichen ein reges Vereinsleben, der Ortskern steht unter Denkmalschutz, 80% des Hausbestandes, zum Teil über 400 Jahre alt, ist nie zerstört worden. Die Landwirtschaft steht nicht nur auf zwei, sondern auf drei Beinen: Wein-, Obst- und Beerenanbau. Und Neubaugebiete werden nur ganz behutsam und in geringem Umfang erschlossen, so dass der Charakter des Ortes erhalten bleibt.
Nach einem kurzen Weg durch eines dieser Neubaugebiete biegen wir in die Dorfstraße ein, stehen vor der Galerie Hanemann und ich weiß jetzt, warum sich der Ort seit einigen Jahren „ART-Dorf Freilichtgalerie Ötlingen“ nennt. An vielen Häusern, in Höfen oder Gärten finden sich Kunstwerke unterschiedlichster Techniken und Genres. Gegenständliches und Abstraktes, Gespraytes, Gemaltes und Gespachteltes, Fotografien, Skulpturen aus Holz, Stein oder Metall ... An Werken von mehr als 80 Künstlern aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich, Spanien, Italien und Portugal kann man hier vorbeischlendern und sie in aller Ruhe betrachten.
Entstanden ist die Freiluftgalerie nach einer Idee des Künstlers und Druckers Gerhard Hanemann, der bei einem Urlaub in der italienischen Stadt Casoli ein ähnliches Projekt gesehen hatte. Die 1. Vernisage im Oktober 2007 zeigte Arbeiten von 30 Künstlern. Hausbesitzer, Ortsvorsteher, Denkmalschutzbehörden, alle trugen die Idee mit und so entwickelte sich die Freiluftgalerie zur jetzigen Größe und ist eine Erfolgsgeschichte. In drei- bis fünfjährigem Rhythmus sollen die Objekte ausgewechselt werden, so dass es immer wieder Neues zu entdecken geben wird.
Frau Merstetter zeigt uns aber noch weitere Facetten Ötlingens. So bleibt sie mit uns am Tor des kleinsten Weinguts der Region stehen, am Weingut Vinessli. Klein, aber fein! – und erfolgreich. Winzer Dieter Rösch baut unter anderem Helios an, eine 1973 vom Staatlichen Weinbauinstitut Freiburg pilzwiderstandsfähig neu gezüchtete Rebsorte, mit der er beim Internationalen Weinwettbewerb „best of Freiburger PIWI“ gewann.
Selbstverständlich gehört auch die Hauswand des Weinguts Vinessli zur Freilichtgalerie. Hier zeigt der Künstler Gerhard Völkle „Sehnsucht Heimat“.
In eine etwas versteckt gelegene Hofanlage, von der Straße kaum wahrgenommen, werden wir nun geführt. Über einem der Wirtschaftsgebäude das Zeichen des Malers Hermann Daur. Der Schüler und Freund von Hans Thoma gilt als Maler des Wiesentales und hatte sich hier sein Atelier eingerichtet.
Wir stehen unter den schönen, großen, alten Bäumen aber nicht seinetwegen hier, sondern Frau Merstetter erzählt uns eine andere Geschichte. In den ehemaligen Räumen des Gasthofs Ochsen wurde 1988 bei Renovierungsarbeiten eine außergewöhnliche Wanddekoration gefunden. Was man zuerst für eine dekorative Wandbemalung gehalten hatte, erwies sich als eine der berühmten französischen Panoramatapeten des frühen 19.Jahrhunderts. Drei Wände des Saales waren mit der fast ganz vollständigen Tapetenfolge „Die Inkas" bedeckt. Sie stellt Szenen aus dem Leben der Inkas vor der Zerstörung ihres Reiches durch Pizarro dar.
Über sechs Jahre dauerte die Restaurierung der kostbaren Tapeten. In den Räumen wurde das Café Inka eingerichtet und damit die seltene und wertvolle Tapete öffentlich zugänglich gemacht. Aber leider, leider .. das Café hat Betriebsferien, wir bekommen die „Ötlinger Panoramatapete“ deshalb nicht zu sehen, sondern müssen uns mit Abbildungen aus der Tasche unserer Führerin zufrieden geben. Das heißt, bei anderer Gelegenheit wiederkommen.
Um 15 Uhr schließt Frau Pfarrer uns die Tür zur evangelischen St.Gallus Kirche auf. Uns erwartet eine schlichte gotische Saalkirche, ursprünglich wohl um das Jahr 800 entstanden, 1275 erstmals urkundlich erwähnt. Der Glockenturm und ein Teil der Nordwand des Langhauses mit Fresken sind aus dem 14. Jahrhundert erhalten geblieben.
Ungewöhnlich ist die Geschichte eines Glockensplitters, der in der Kirche aufbewahrt wird. Wie sehr viele Gemeinden hatte auch Ötlingen die Kirchenglocken während des Zweiten Weltkrieges abgeben müssen. In der Regel wurden sie eingeschmolzen, Bronze war wichtiges Material für die Rüstungsindustrie. Die Ötlinger Kirchenglocken befanden sich auf dem Glockenfriedhof in Hamburg, der durch Bombardierung zerstört wurde. Zum Einschmelzen kam es nicht mehr, doch die Glocken waren nur noch Bruchstücke. Eines davon konnte an Hand des figürlichen Schmuckes identifiziert und nach Kriegsende nach Ötlingen zurückgegeben werden. Ein Stück Zeitgeschichte in unseren Händen.
Auch die modernen Ausstattungsstücke der Kirche sind beachtenswert. Das Lesepult, aus einem dicken Eichenstamm geschnitzt und das Tauffenster des Glaskünstlers Valentin Feuerstein. (Wer mehr Arbeiten dieses Künstlers sehen will, dem sei ein Besuch in der Evangelischen Kirche von Ihringen am Kaiserstuhl empfohlen. Es lohnt sich.)
Dem Eingangsportal im Westen gegenüber, das Pfarrhaus. Da erzählt uns Frau Merstetter noch schnell, dass der Türkenlouis im Spanischen Erbfolgekrieg 1702 die Schlacht bei Friedlingen vom Ötlinger Pfarrhaus aus leitete. Ich kann mir das gut vorstellen, denn auf der kleinen Terrasse vor der Kirche wird einerseits die strategische Bedeutung dieses Punktes deutlich, aber auch, woher die liebevolle Umschreibung für Ötlingen kommt. Man steht dort wirklich wie auf einem Balkon und hat den Ausblick auf das Dreiländereck: den Tüllinger Berg, die Basler Bucht und das Elsass.
Es versteht sich von selbst, dass wir FA’ler den informativen Nachmittag im Gasthaus „Dreiländereck“ mit eben diesem Blick ins Weite ausklingen lassen.
Fotos:
Bernard und Markus
Vielleicht geht es ja anderen auch so? Ich sehe mich schon, vielleicht an einem goldenen Oktobertag noch einmal durch die Obstgärten und die Weingärten den Hügel hinauffahren, durch die Freiluftgalerie spazieren und im Café Inka die kostbare Tapete betrachten.
Barbara
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