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Ankündigung

Kolumne

Ankündigung

Wenn die Software-Hersteller neue Produkte ankündigen, existieren die zwar noch nicht, doch die Rituale sind immer die gleichen. Welche das sind, schildere ich nun anhand eines praktischen Beispiels.

Hiermit kündige ich die 64-Bit-Version dieser Kolumne an, natürlich voll multitaskingfähig. Das sollte eigentlich reichen, um euch mindestens zwei Jahre lang am Lesen der einfachen 32-Bit-Kolumnen meiner Mitbewerber zu hinden.

Das reicht leider nicht, sagte mein Freund Theo, seines Zeichens Finanzjongleur, Marketingleiter eines großen Softwarehauses und Erfinder des 7,5-prozentigen Update-Zuschlags. Du musst das Thema am Kochen halten, die Fachpresse muss ständig berichten.

Zuerst brauchen wir einen Codenamen. Wie wär’s mit K64, fragte ich. Falsch, sagte Theo, Städtenamen sind in. Wir haben uns auf Frankfurt geeinigt, auch bekannt als Feier@bend-City.

Und jetzt schreibe ich eine Pressemitteilung? Total falsch, sagte Theo, eröffnete ein geschlossenes Forum, vergaß aber, es zu schließen. „Finde die Alpha-Pre-Release von Frankfurt echt cool“, mailte Theo an mich, kein Wort mehr.

In den nächsten Ausgaben von drei PC-Magazine konnten wir das Ergebnis nachlesen, Rubrik „Top Secret“: Wollschlaeger entwickelt den Nachfolger von Kolumne 3.1 unter dem Codenamen „Frankfurt“.
Die zukünftige Kolumne 4.0 wird aus Sätzen und Wörtern bestehen, sowie eine ganz neue Technik namens „Punctuate“ anwenden. Diese sogenannte Interpunktionsmethode soll das Lesen von Kolumnen stark vereinfachen. Voraussichtlich im ersten Quartal 2011 wird die neue Kolumne erscheinen.

Da hatten wir den Ärger, 2011 war nicht zu halten. In diesem Jahr waren wir laut Plan erst bei der Beta 7. Macht nichts, belehrte mich Theo. Jedermann weiß, dass „erstes Quartal 2011“ Ende 2012 heißt, und deshalb kündigen wir im Herbst “Kolumne 12“ an. Und die erscheint dann 2012? Mal sehen, sagte Theo, oder klingt „Kolumne 13“ vielleicht noch besser?

Doch die Idee mit dem „Punctuate“ war gut, wenn auch sehr schwer zu realiseren und—noch schlimmer—die Idee war nicht von mir. Keine Sorge, belehrte mich Theo. „Punctuate“ wurde bei Xerox entwickelt, ist von Apple noch nicht kopiert worden, also darfst du ungestraft abschreiben.

Viel wichtiger, kriegst du das auf einem einfachen 64-Bit-Rechner überhaupt hin, fragte Theo. In 64 Bit über die volle Punktuation wohl kaum, sagte ich, aber Punkte in 16 Bit müßten bis 2012 machbar sein. OK, sagte Theo, das gebe ich noch raus, aber jetzt gehen wir streng wissenschaftlich vor. Nachdem Theo die Message im Forum plaziert hatte (Point-and Plug-Technik sichert die installierte Basis), setzte er seine Professorenmine auf und dozierte:

Wir haben gerade versucht, die „prüfe wer sich ewig bindet“-Strategie bzw. das Prinzip Hoffnung anzuwenden. Es basiert auf der Erkenntnis, dass PC-User den Kauf hinauszögern, wenn sich ein Produkt ankündigt, das besser als das aktuelle oder gar billiger sein könnte, die Betonung liegt auf „könnte“. Darunter, also unter Windows 7, hatte lange Zeit Vista gelitten.

Damit fällt dieser Versuch von Microsoft noch in die Rubrik (unerfüllte) Hoffnung, sagt Theo, und nicht, wie manche seiner Kollegen behaupten, in die Abteilung „Ankündigung von gar nichts“. Diese Strategie, genauer, die Ankündigung einer Strategie, ist eindeutig die effektivste Methode. Sie kostet nur eine Pressekonferenz und ein paar „white papers“, kann aber für Aufregung in der Branche sorgen.

Richtig, sagte Theo, und was lernst Du daraus? Gorbi, antwortete ich, von wegen, wer zu spät kommt und so. Das stimmt leider nicht, korrigierte mich Theo schon wieder. Du kannst, das richtige Timing vorausgesetzt, die Leute mindestens drei Jahre lang hinhalten, wenn — und das ist das Wesentliche — Du als Spitzenankündiger qualifiziert bist.

Also angenommen, Microsoft, inzwischen unangefochten auf Platz 1 in der Ankündigerweltrangliste (vor Philippe Kahn, IBM und WoSoft als Qualifikant), verkündet vor der versammelten Weltpresse, einen Online-Dienst in Windows zu integrieren.

Noch besser: Die fertige Lösung konnte sogar auf der branchenüblichen universellen Hardware-Plattfform (dem Overhead-Projektor) praktisch vorgeführt werden. Das schlägt ein. Die Tagespresse titelt, dass Microsoft soeben den Online-Dienst und die Datenautobahn erfunden hat.

Bleibt als Fazit: Diese Kolumne mit ihrer 32-Bit-Punktuation können die meisten Leute noch einiermaßen gut lessen. Wer dann später in seiner frisch erworbenen 64-Bit-Kolumne keinen großen Vorteil erkennt, hat offensichtlich das Grundprinzip nicht verstanden. Neue Software muss nicht besser sein als ihr Vorgänger, es reicht, wenn sie neuer ist.

Autor: WoSoft

Peter Wollschlaeger

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