Neu hier? Lies hier über unser Motto gemeinsam statt einsam.
Mitglied werden einloggen




Passwort vergessen?

Für Gestaltung und Inhalt dieser Regionalseiten sind ausschließlich die jeweiligen Regionalbotschafter verantwortlich. Die von den Regionalbotschaftern eingegebenen und heraufgeladenen Inhalte unterliegen grundsätzlich weder einer Kontrolle durch Feierabend, noch nimmt Feierabend hierauf Einfluss. Hiervon ausgenommen sind werbliche Einblendungen und Beiträge die von Feierabend direkt eingestellt wurden und als solche gekennzeichnet sind.

Wiener Neustadt ist auf den ersten, allzu oberflächlichen Blick bestimmt keine Beauty. Die Grazerstrasse, die als Durchgangsstrasse am Zentrum vorbei führt, bietet alles andere als einen besonders einladenden Anblick. Auch die an den Ausfallstrassen hintereinander gereihten Gewerbebetriebe und Einkaufszentren passen eher zu einer nordamerikanischen Siedlung.
Nachdem ich jetzt hier lebe, habe ich mich aber bemüht, Wiener Neustadt für mich zu erschließen. Und so kam es zur Liebe auf den zweiten Blick! Denn es gibt genug reizvolle Plätze und Ecken, die Wiener Neustadt zu einer gemütlich Kleinstadt machen. Auch wenn im letzten Krieg die ganze Stadt zusammengebombt worden ist, finden sich doch noch Gebäude, Ensembles und vor allem Bürgerhäuser, an denen sich die Geschichte abzeichnet.

Beginnen wir mit der Geschichte, als vor über 800 Jahren - im Jahre 1194 oder auch zwei Jahre früher - der Babenberger Herzog Leopold V. die Errichtung einer neuen befestigten Stadt, als Bollwerk gegen den Osten, beschloss. Finanziert wurde der Bau mit einem Teil des Lösegeldes des englichen Königs Richard Löwenherz.

Ausgewählt wurde das südlichen Steinfeld, eigentlich eine Gegend, die hinsichtlich Schutz, Wegverbindungen und Nahrungsversorgung nicht gerade ideale Voraussetzungen für eine natürliche menschliche Niederlassung bot. Die strategischer und wirtschaftlicher Überlegungen führten deshalb zu einem sehr planmäßigen Vorgehen. Rechteckiger Grundriß mit einem Straßenkreuz , hohe Stadtmauern mit einem Wassergraben sowie mit vier Toren und Türmen. Für die Speisung des Grabens und die allgemeinen Wasserversorgung wurde ein System künstlicher Wasserläufe geschaffen.

Jetzt musste nur noch das Marktrecht von Neunkirchen eingehandelt und entsprechende Privilegien für den Handel und das Gewerbe eingeführt werden. Auch der Umzug der in Fischau angesiedelten Münzstätte war eine wichtiger Entscheidung. Die Umorientierung der Handelswege erfolgte nach dem Ausbau der „Venediger Straße“ über den Semmering auch recht schnell. Damit waren die Vorausetzungen für das Wachsen und Gedeihen der Nova Civitas erfüllt.

Mit dem Bau der neuartigen und recht ausgedehnten Vier-Turm-Burg am Rande der Stadt wurde wahrscheinlich bereits unter Herzog Friedrich II.(1230-1246) begonnen. Das älteste noch erhaltene Stadtwappen stammt aus dem Jahr 1263.

Aus der Zeit von Herzog Friedrich II. stammt auch der stolze Beiname der Stadt: „Allzeit Getreue“. Damit war die bewiesene Treue der Bürger gemeint, als das Reich und „fast die ganze Welt“ gegen Herzog Friedrich II. „den Streitbaren“ im Kampf standen.

Unter die Herrschaft der Habsburger geriet Wiener Neustadt 1276. Die Stadtkirche wurde Ostern 1279 geweiht und gewiß gab es damals auch schon die Stadtschule. Auch Klöster des Deutschen Ordens, der Minoriten, der Dominikaner und der Dominikanerinnen haben sich schon bald innerhalb der Stadtmauern etabliert und ganz gut entwickelt. Auch die Judengemeinde war bedeutend und wurde mittels eines Judenschutzbrief (1253) beschirmt.

Die Bezeichnung Wiener Neustadt ist erstmals auf einer Urkunde von 1358 erwähnt. Es heißt dort Vindobonensis Nove Civitatis.

1457 wurde die Stadt nach zweijähriger Belagerung vom Ungarnkönig Matthias Corvinus erobert und konnte erst nach drei Jahren vom Sohn Friedrich III., dem jungen König Maximilian I., wieder zurückerobert werden. Der bekannte Corvinusbecher ist ein Geschenk des ritterlichen Ungarnkönigs an die „wehrhafte“ Bevölkerung.

Seine politische, wirtschaftliche und kulturelle Blüte erlebte Wiener Neustadt im 15. Jahrhundert als Residenz von Kaiser Friedrich III. Im Gefolge des Kaisers kamen bedeutende Persönlichkeiten in die Stadt und es wurde lebhaft gebaut.

Das Bistum in Wiener Neustadt wurde 1469 gegründet.

Im 16. Jahrhundert war Wiener Neustadt keine Residenzstadt mehr und verlor dehalb an Bedeutung. Die Befestigungen bewährten sich aber nach wie vor bei den Einfällen der Türken und Kuruzen.

Kaiserin Maria Theresia traf 1751 die Entscheidung in der kaiserlichen Burg eine Militärakademie einzurichten, die bald zur wichtigsten Offiziersschule der k.&k. Monarchie wurde. Die berühmte „Theresianische Militärakademie“.

Als dann 1785 Kaiser Joseph II. das Bistum Wiener Neustadt nach St.Pölten verlegen ließ und fast alle Klöster aufgelassen wurden, war dies zwangsläufig die Basis für eine industrielle Entwicklung. In den leerstehenden Gebäuden wurden Manufakturen angesiedelt und damit wurde der Weg zu einem bedeutenden Industriestandort geebnet.

1792 begann man unter Kaiser Franz II. das Projekt eines schiffbaren Kanals zu realisieren, der einmal von Wien nach Triest führen sollte. Der Wiener Neustädter Kanal. Auf ihn sollte in erster Linie Steinkohle transportiert werden, die im Großraum Neustadt abgebaut wurde und werden sollte. Der Kanalabschnitt von Wien zum Wiener Neustädter Kanalhafen wurde am 12.Mai 1803 in Berieb genommen und galt Anfang des 19.Jahrhunderts als wohl das wichtigste Ereignis zur Förderung der Wirschaft. In seiner Glanzzeit verkehrten einmal 55 Frachtkähne und sogar dreimal wöchentlich Passagierschiffe. Der Weiterbau des nächste Abschnittes nach Ödenburg endete aber schließlich bei der Pöttschinger Höhe durch den Widerstand der ungarischen Grundbesitzer.

Die Entwicklung zur Industriestadt begann 1787 mit der Errichtung einer Fabrik für Seidenzeug. Neben Textilbetrieben gewannen nach und nach auch andere Industriezweige Bedeutung. So eine Zuckerfabrik, eine Steingut-Geschirrfabrik (ab 1864: Produktion von „Altwiener Porzellan“). Ab 1815 wurden auf der Wiener Neustädter Heide Brandraketen fabriziert. Die erste Rüstungsindustrie.

Mit dem Bau und der Inbetriebnahme der Bahnlinie Baden - Wiener Neustadt, Wien - Wiener Neustadt und Wiener Neustadt – Ödenburg in den Jahren 1839 – 1847 hatte man schon früh auf dieses moderne Verkehrsmittel gesetzt. Gleichzeitig erkannten weitsichtige Investoren den wachsenden Bedarf an Lokomotiven und gründeten die Wiener Neustädter Lokomotivfabrik.

In dieser Gründerzeit haben einige markante Erzeugnisse, die in und um Neustadt herum hergestellt worden sind, den Ruf als Industriestadt schnell gefestigt: Baumwollgespinste, Klenganstalten (Samengewinnung aus Nadelholz-Zapfen), Drahtzeug, Nadelburger Metall- und Messingwaren, Maya-Wagen und Prinz Heinrich-Wagen aus den Austro-Daimler-Werken, Lenkballone, Etrich-Taube aus den Hangars des Wiener Neustädter Flugfeldes und der Wiener Neustädter Flugzeugfabrik. Der Name Ferdinand Porsche ist mit Wiener Neustadt eng verbunden.

Schon im ersten Weltkrieg war Wiener Neustadt ein Zentrum der Rüstungsindustrie. Kann man sich vorstellen, dass in der Munitionsfabrik in Wöllersdorf während des Krieges 14/18 einmal 40.000 Arbeiter beschäftigt waren?

In der Wirtschaftskrise Anfang der dreißiger Jahre kam der Niedergang und die Stilllegung der großen Industriebetriebe bis nach dem Anschluss die Rüstungsbetriebe wieder schnell reaktiviert und forciert ausgebaut wurden. Jetzt fertigte man in den Wiener Neustädter Flugzeugwerken Jagdflugzeuge und in den Rax-Werken Lenkwaffen und Lokomotiv-Tender. Wiener Neustadt wurde ein wichtiges Zentrum der deutschen Rüstungsindustrie. Und das war schließlich auch das Verhängnis, das Wiener Neustadt zum Ziel der alliierten Bomber gemacht hat.

Trotz vieler Anstrengungen und wirtschaftlicher Erholung ist es nach dem II.Weltkrieg nicht mehr gelungen, den Industriestandort Wiener Neustadt in seiner früheren Größe wieder erstehen zu lassen. Die Metallindustrie ist gänzlich verschwunden. Jedoch Flugzeuge
- Sportmaschinen aus Kunststoff - werden wieder gebaut. Doch die Ansiedlungsprioritäten haben sich heute in Richtung Handel, innovative Technik und E-Business gewandelt. So kann Wiener Neustadt auf Grund seiner geografischen Lage und seiner optimalen Infrastruktur ohne Frage zu den wichtigsten Wirtschaftsstandorten Österreichs gezählt werden. Nicht zu übersehen, auch die kulturelle Situation ist beeindruckend und hat Tradition. Schon während der Regierungszeit Kaiser Leopolds II. fanden Theateraufführungen statt. Zu den Kulturstätten gehört ein Stadttheater und Niederösterreichs größte Veranstaltungshalle „Arena Nova“. Auch das Bildungsangebot ist sehr vielseitig – vom Konservatorium bis zur Fach-Hochschule ist alles vertreten.

Heute ist Wiener Neustadt eine große Kleinstadt mit mehr als 40.000 Einwohner. Die Hauptstadt des südöstlichen Niederösterreich. Eine Kleinstadt ohne Großstadtallüren. Es läuft alles ein wenig gemütlicher. Die Menschen sind nicht hochgestochen, sondern unkompliziert, eher kleinbürgerlich, aber bestimmt nicht kleinkariert. Sozial gut gemischt und auch die Coleur paßt. Und der Fön, der hier oft zu Hause ist, macht nicht zwangsläufig aggressiv.

Das Zentrum mit dem Hauptplatz, die von dort aus verlaufenden Einkaufsstrassen und die Altstadtgassen vermitteln einen altehrwürdigen Charme. Auf kurzen Wegen wird alles geboten, was man für einen gemütlichen Shopping-Bummel so braucht. Und die Sehenswürdigkeiten liegen quasi auf dem Weg. Auch die vielseitige Gastronomie lockt mit genügend Restaurants, Heurigen und Kaffeehäuser zur anschließenden Einkehr. Auf dem weitläufigen Hauptplatz mit der Mariensäule und dem Rathaus wird regelmäßig Markt abgehalten und hier konzentiert sich auch das Leben der Stadt. Fast südländisch wirken die Arkaden, die freigelegten Sgraffiti am Eckhaus Nr.14 und die schon im Frühjahr besetzten Schanigärten.

Die Silouette der Stadt wird schon in der Ferne durch Dom, Wasserturm und Militärakademie geprägt.

Wenn mn das richtige Gespür hat, dann kann man sicher noch ein bisschen etwas von der Atmosphäre der alten Stadt einfangen!

Die Natur ist es jedoch, die das Leben hier besonders lebenswert macht. In einer recht steinigen Senke gelegen, laden der Akademiepark, die großen Föhrenwälder, das Bauernland mit seinen ausgedehnten Korn- und Maisfeldern und die Kanallandschaft zum bequemen Spaziergang und zur leichten Radltour ein. Doch die Voralpen mit Schneeberg und Hohe Wand sowie der Neusiedlersee sind greifbar nahe. Auch die noch urige Bucklige Welt ist schnell zu erreichen. Ein paar Kilometer und man ist mitten in den Weinbergen des Burgenlandes. Die unzähligen Wein- und Most-Heurigen sind das Tüpfchen auf dem „i“! Und nicht zuletzt: das wunderschöne Wien ist nur eine halbe Autostunde entfernt!

Zusammengefaßt ist Wiener Neustadt eine ehemalige Festungsstadt, eine ehemalige Residenzstadt, eine ehemalige Kaiserstadt, eine ehemalige Bischofsstadt, eine Einkaufsstadt, eine Kulturstadt, eine Behördenstadt, ein Verwaltungszentrum, eine Schulstadt, eine Garnisionsstadt, eine Industriestadt, eine Arbeiterstadt, eine Wirtschaftsmetropole, ein Verkehrsknotenpunkt und noch dazu Europastadt. Das reicht doch für eine „heimliche“ Hauptstadt Niederösterreichs! Oder?

Fritz Wagner
August 2001

(Quelle: Gertrud Gerhartl, „Wiener Neustadt“, Geschichte, Kunst, Kultur, Wirtschaft)

Artikel Teilen

 

Artikel bewerten

Es wurde noch keine Bewertung abgegeben. Sei der erste, der diesen Artikel bewertet! Nutze dafür die Sterne:


0 0 Artikel kommentieren
Regional > Österreich > WISSEN und WISSENSWERTES > Geschichte von Wiener Neustadt