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Sprudelchen schreibt: Der kleine Heckenschütze(r)

In bester Laune versammelte der kleine Prinz an einem kühlen Dienstagabend im Oktober seine Bauern um sich. Ihnen zu Ehren zelebrierte er einen „Tag der Landwirtschaft“.
Schon lange vorher ließ er verkünden, er würde seine Landwirte um 18 Uhr erwarten. Großmütig überhörte er ihr klagendes Murren, sie müssten zu dieser Tageszeit wichtige Stallarbeit verrichten. „Wenn euch die Kühe wichtiger sind als ich, dann melkt in Ruhe und schaut später vorbei, ich warte mit einer deftigen Vesper auf euch“, lockte er seine fleißigen Untertanen.

Der kleine Prinz plante, mit seinen Bauern bei einer Wanderung durch kleine Teile seines 8.800 Hektar großen Reiches die prächtige Heckenlandschaft zu bestaunen. Nach ausreichender Lungenbelüftung mit dem aromatischen Sauerstoff des Schwarzen Waldes wollte er ihren Appetit mit Gerichten aus der Region stärken. Anschließend gedachte Hoheit die Bauern mit einer Multi-Media-Show in die digitale Welt der Biotope des Prinzenreiches entführen. Aber auch ihre Nöte und Sorgen wollte der kleine Prinz erfahren. Versprochen.

Tatsächlich schaffte es der kleine Prinz neben einer handvoll Beamter auch einige Bauern an die frische Luft zu locken. Eifrig erklärten die Beamten des kleinen Prinzen den Landwirten den Zustand der Hecken und wie man diesen mit einer guten Pflege verbessern könne. Mit großem Interesse folgten die Bauern den Ausführungen der sachkundigen Beamten. Aufmerksam beteiligten sie sich am Geschehen und brachten ihre Erfahrungen mit ein.

Ausgefroren trafen sie schließlich nach wenig mehr als einer Stunde im Palast ein. Sie freuten sich auf das deftige Vesper und hofften auf einen wärmenden Glühwein. „Alkohol gibt es keinen“, ließ der kleine Prinz gesunde kalte Säfte aus kleinen Fläschchen in kleine Gläser fliesen. Die Untertanen fröstelten, der kleine Prinz hatte vergessen den Thronsaal heizen zu lassen. In einer Ecke des Saals schnitt eine Kaltmamsell emsig ordentliche Brotscheiben vom Laib, bestrich sie liebevoll mit Butter oder Frischkäse und garnierte sie mit Kräutern. „Alles heimische Produkte“, strahlte der kleine Prinz und lud frohgelaunt zum Mahl. „Wo ist der Schinken“, raunte es hier und dort klammheimlich und leise. Wussten die Bauern doch nur zu genau, dass gerade das typischste Produkt der Region, der über alle Grenzen hinaus begehrte Schinken des Schwarzen Waldes ist. Frischkäse hingegen wird im Reich des kleinen Prinzen nicht hergestellt. Für dessen Beschaffung bemühte sich die Kaltmamsell eigens über die Grenze in die Stadt der Zähringer. Der Kräuterpapst des kleinen Prinzenreichs indessen erbarmte sich seiner fröstelnden Mitbürger und wärmte sie heimlich mit einem Kräuterschnäpschen.

Nach dem reichlichen Mahl bat der kleine Prinz mit huldvollem Lächeln zur großen Multi-Media-Show. Die hatte ein ihm zugetaner Bürger für ein paar müde Märker zusammengestellt. Bescheiden winkte der fachkundige Bürger ab: „Keine Multi-Media-Show“, räumte er ein, „nur anhand von digitalen Bildern eine Übersicht über die Lage der Biotope im Prinzenreich“. Da wunderte sich der kleine Prinz. Noch mehr aber verwunderte, dass der Digitalisierer nicht die dem kleinen Prinzen bekannte 94 Biotope, die sich auf 188 Hektar seines Reiches tummeln zeigen, sondern gleich 1.139 Reichsbiotope in ihrer ganzen Vielfalt und Lage erklären wollte. Mit vielen „mmhh“ und „hmm“ (im modernen Sprachgebrauch für ‚nicht Wissen‘ auch als „ups“ bekannt) kommentierte der fachkundige Digitalisierer unsicher die kompetenten Fragen der bäuerlichen Untertanen. Lange und geduldig zollten die Bauern ihrem kleinen Prinzen Respekt, sie unterdrückten taktvoll ihr Gähnen und gaben sich ganz den ebenso unverständlichen wie langatmigen Ausführungen hin. Auch der kleine Prinz übte sich in Takt.

Er versäumte es, den Referenten wegen der schlechten Vorbereitung zu mahnen. Doch dann war auch er der Ausführungen müde geworden und ergriff das Wort. Die Zeit drängte. Schließlich verfolgte der kleine Prinz einen listigen Plan. Den galt es nun hurtig umzusetzen. Lange genug glaubte er die Bauern nun eingeschläfert zu haben, die Gefahr einer heftigen Gegenwehr schien gebannt. Kurzerhand gab der kleine Prinz eine Erklärung ab. Er betonte, wie wichtig die Landwirtschaft für sein Reich sei. Und er zeigte Verständnis für die Sorgen der Bauern, die immer weniger verdienen. Aber er wäre nicht der kleine Prinz, wenn er keinen Ausweg aus dem Dilemma wüsste. Natur- und Landschaftsschutz müsse mit der Landwirtschaft unter einen Hut gebracht werden, erklärte er seinen Bauern. Es gäbe für die Bauern soviel Arbeit bei der Pflege der Hecken und der Staat würde dafür auch noch gutes Geld bezahlen, zeigte er einen Ausweg aus der bäuerlichen Misere. Und man könne die Hecken auch noch erweitern. Die Vögelchen, Schmetterlinge und die anderen Kriechtierchen würden es danken. Der kleine Prinz müsse nur sicher sein, dass diese auch gepflegt werden. Mit einem Mal waren die Bauern hellwach.

Vier lange Stunden mussten die schlechtbezahlten Hofschreiberinnen fröstelnd warten, um in der Chronik des Reiches vermerken zu können: Wie es scheint geht die Heckensaat des schlauen kleinen Prinzen nicht auf.

Autor: ehemaliges Mitglied

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