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Kurzgeschichte: Ingrids Nachbarkind Lisa sucht Edelsteine

Ingrids Nachbarkind Lisa sucht Edelsteine

Ganz in der Nähe meiner Wohnung liegt ein Wald, in dem ich oft spazieren gehe. Ganz leise bin ich, um die Vögel und die scheuen Rehe nicht zu stören. Manchmal setze ich mich auch ganz still an einen Baum und lausche auf die Stimmen des Waldes. Mein Lieblingsplatz ist das moosige Wurzelgeflecht einer sehr alten Eiche.

Eines Tages hörte ich ein Schluchzen. Neben mir saß ein kleines Wichtelmännchen. Seine Augen waren voller Tränen und immer wieder wischte er sich mit seinem Ärmel die tropfende Nase ab.

Hallo Wichtelmännchen, wie heißt du?“
»Ich heiße Waldur.«
„Warum weinst du, Waldur? Kann ich dir helfen?“
Waldur schaute mich lange an. Er rutschte ein Stückchen näher.
»Wir kennen dich, du bist oft hier. Vielleicht kannst du uns helfen. Uns ist etwas ganz Schreckliches geschehen, uns hat ein großes Unglück getroffen«.

Und dann erzählte mir Waldur seine Geschichte.
Versteckt unter der Eichenwurzel liegt der Eingang zu seinem Dorf. Waldur lebt dort mit seinen Eltern, den sieben Geschwistern, Freunden und vielen Nachbarn. Sie haben viel zu tun und waren bisher immer fröhlich. Sie sammeln Beeren und Früchte für die Tiere des Waldes, die im Winter keine Nahrung finden. Sie haben ein kleines Feld angelegt, auf dem sie besondere Kräuter anbauen. Mit diesen Kräutern heilen sie kranke und verletzte Tiere. Bisher haben sie alle ihre Arbeit gern getan und jeder Tag verging mit Lachen und Singen.

Nun aber ist Unfriede im Dorf. Die Wichtel sind mürrisch und böse geworden, sprechen nicht mehr miteinander, es kam zum Streit. Die Tiere verstecken sich, wenn sie uns sehen«.

„Wie konnte dies geschehen, Waldur?“

»Ein Fremder kam zu uns. Er erzählte uns, wie wir reich werden könnten«.
„Was wollt ihr mit Reichtum, wenn ihr glücklich seid?"
»Der Fremde sagte, wenn wir reich sind, kommen viele Wichtelmännchen aus der ganzen Umgebung, damit sie von uns lernen. Wir würden im ganzen Land bekannt, berühmt und geehrt. Wir würden in die Wichtelgeschichte eingehen und überall würde man uns loben. Wir wären ein Vorbild, erklärte der Fremde uns.«

»Einige von uns wollten den Rat des Fremden nicht. Der Dorfälteste aber befahl, auf den Fremden zu hören«.
„Was hat euch der Fremde geraten?“
»Er sagte uns, wenn wir einen Stein in der Tasche tragen, werden wir reich«.
„Hat es geholfen?“
»Nein, überhaupt nicht. Einige der Dorfbewohner glaubten, wenn sie viele Steine in den Taschen sammeln, werden sie noch reicher und berühmter als die anderen Dorfbewohner. Sie stopften in alle Taschen so viele Steine, wie sie nur tragen konnten. Durch die Last der vielen Steine wurde ihnen das Bücken und die Arbeit zu schwer. Sie hörten auf mitzuhelfen. Sie suchten nur noch Steine. Es kam zum Streit. Nun reden wir nicht mehr miteinander«.

Das verstehe ich. Die Steine sind kalt und viele kalte Steine bringen ein kaltes Herz.“
Waldur nickte und ließ sein kleines Köpfchen mit einem tiefen Seufzer auf seine Brust sinken.

»Wir Kinder wünschen uns, dass sich alle wieder vertragen. Wir mögen es gar nicht, wenn die Erwachsenen sich streiten. Wir haben es versucht, auf uns hört keiner, wir sind doch nur Kinder«.

Lange schwiegen wir beide.
„Und wenn ihr Kinder es ihnen vormacht, wie es möglich ist, einen Glücksbringer in der Tasche zu tragen, der leicht, weich und warm ist?“

Waldur schaute mich mit großen Augen an. »Ich kenne nichts, das leicht, weich und warm ist«.
„Schau einmal dort hin, Waldur, was siehst du dort?“

Waldur blickte in die Richtung meines Zeigefingers.
»Ich sehe ein paar Haare von einem Hasen, die er beim Sprung durch den Busch an den Zweigen verloren hat«.

„Fellhaare gibt es hier im Wald sicherlich viele. Ihr Kinder könntet sie sammeln und daraus kleine Kugeln drehen, dann habt ihr einen weichen, warmen und leichten Glücksbringer. Den könnt ihr bequem in euren Taschen aufbewahren. Dazu müsst ihr den ganzen Tag singen und lachen. Eure Eltern werden euch bestimmt fragen, warum ihr so fröhlich seid. Dann zeigt ihr eure Glücksbringerkugeln. Probier es mal.“

Ein paar Tage regnete und stürmte es heftig. Endlich schien die Sonne wieder. Ganz schnell lief ich zur alten Eiche. Kaum hatte ich mich im Gras niedergelassen, hörte ich ein Lachen und Singen um mich herum. Alle Wichtelbewohner kamen einer nach dem anderen unter der Wurzel hervor, allen voran Waldur. Sie stellten sich im Kreis um mich herum auf und legten mir einen wunderschönen bunten Stein in meine Hände.

Der Dorfälteste trat vor. »Wir danken dir. Durch deine Hilfe sind der Friede und das Glück in unserem kleinen Dorf wieder eingekehrt. Die Steine brauchen wir nun nicht mehr. Wir kommen dich hin und wieder besuchen. Schau in deinem Garten unter dem alten Farn«.

Wenn Lisa mich besucht, schaut sie zuerst unter den Farn. Mit einem strahlenden Lachen ruft sie dann „Ingrid, die Wichtel waren da.“

Autor: Zwillingsjungfrau

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