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Etti schreibt: Ein scheußlicher Montag!

Regen, ein voll gestopfter Bus. Scheibenwischer quälen sich quietschend über die Frontscheibe. Immer das gleiche, quetschen, schubsen, gähnen, der Kampf gegen die Schwere der Augenlider. Wie der, da gegenüber, mit den ausgestreckten Beinen. Der hat schon aufgegeben. Oder - der auf der anderen Seite, bei ihm scheint schon jeder Muskel erschlafft zu sei. Sicher wird ihm gleich die Tasche aus der Hand fallen.

Lisa erwischt noch einen Platz. Gelangweilt malt sie einen Kreis auf die beschlagene Fensterscheibe - sieht aus wie ein See in einer nebligen Landschaft. Tropfen rollen über seinen Rand - zerreißen ihn. Sie malt noch einen. - Für jeden Monat einen? Ja, wenn alles klappt, könnte sie es in zwei Monaten so gut haben wie Paul. Der genießt sein Rentnerdasein schon ein paar Jahre. - Nur noch zwei Monate? Der Gedanke gefällt ihr. Vorruhestand war das auslösende Wort. Seit Wochen geistert es durch das Büro - hat sich festgesetzt in ihrem Kopf...

Bahnhof-Ost. Die Tür klemmt, geht ein paar Mal auf und zu, bevor sie sich öffnet. "Scheißtür, der Mief hier ist ja ätzend!" schimpft eine mit lila Haaren. Rücksichtslos drängt sie sich durch die müden Leiber, in der Hand den demolierten Schirm, der in der Tür hängen geblieben war.
Lisas Kreise sind ineinander gelaufen - nur noch eine unruhige Fläche hinter der das Leben auf der Straße unförmig und verwischt erscheint.
An jeder Haltestelle drücken sich Leute durch die Türen nach draußen und hasten eiligst in verschiedene Richtungen. Irgendwann ist der Bus leerer geworden. Lisa will es sich bequemer machen, aber der, der neben ihr steht, hält sich wie ein Klammeraffe an der Haltestange fest, schiebt ihr doch dauernd die Mütze vom Kopf.
Eine Vollbremsung! Da fällt doch die mit den lila Haaren dem Affen direkt in die Arme. "Scheißeee", brüllt sie. Na, der hängt jetzt wenigstens manierlich da, hält sich nur noch mit einer Hand an der Stange fest.

Lisa malt wieder einen Kreis. Nur noch zwei Monate. Der Gedanke beflügelt sie. Sie malt noch einen Kreis - noch einen - und noch einen - fühlt sich plötzlich beobachtet. Schräg gegenüber sitzt eine ältere Dame, schaut mit strengen Augen zu ihr hin und schüttelt missbilligend den Kopf. - Was mag sie wohl denken? - Schlimmer als die Kinder? - Oder, dass Lisa wohl zu alt sei für solche Spielchen? Aber Lisa macht sich nichts daraus. Sie findet es einfach schön, ab und zu wieder Kind zu sein. - Wie gern würde sie jetzt dieser strengen Dame eine lange Nase machen; und sie ist sich sicher, dass diese ihre rümpfen würde, wie sie es sicher auch über die Montagsmüden getan hätte, wenn sie ein paar Haltestellen früher in den Bus gestiegen wäre. "So rekelt man sich doch nicht in der Öffentlichkeit", hätte sie wohl gesagt, zumindest aber mit dem Kopf geschüttelt.

Nur noch zwei Monate. - Viel Zeit wird sie bald haben. Erst möchte sie nach Herzenslust bummeln gehen, im Park in der Sonne sitzen - nein, lieber unter einem Baum. Die Sonne tut ihr nicht mehr so gut. Ja, sie wird es genießen, all das tun zu können, wozu ihr der stressige Alltag jetzt nicht die Zeit lässt. Dann wünscht sie sich einen sonnigen Herbst...

Immer noch fühlt sie sich beobachtet. Sie muss jetzt aussteigen. - Ob die Dame ihr wohl einen verächtlichen oder bedauernden Blick mit auf den Weg geben wird? Am liebsten möchte Lisa ihr zum Abschied sagen: Mach’s gut, alte Dame! Mal doch auch mal einen Kreis auf die Scheibe und schau lächelnd hindurch. Vielleicht erblickst du ja die heitere Seite des Lebens.


Autor: Rosewittchen

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