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Der Prinz auf der Erbse

Der Prinz auf der Erbse

Der weiße Kater Ivan

„Wärst du eventuell bereit, unseren Kater für ein paar Tage zu nehmen, wenn wir im September wegfahren?“, fragte mich mein Kollege. „Natürlich“, antwortete ich spontan, „gar kein Problem!“ Schließlich hatten wir Ivan, den weißen Britisch-Kurzhaar-Kater, im Frühjahr schon einmal für zwei Wochen beherbergt und damals den Eindruck gewonnen, dass sich der kleine Stadtfrack bei uns auf dem Land pudelwohl fühlte.

Neugierig und selbstbewusst war Ivan im Mai aus seinem Transportkennel gestiegen, hatte die Wohnung inspiziert und sich dann auf der obersten Plattform des Balkon-Kratzbaums niedergelassen. Er war aus dem Staunen nicht mehr herausgekommen. Was gab es bei uns nicht alles zu sehen! Haushohe Birken und Fichten, Sträucher und Blumen, eine Wiese, viele Vögel, zwei- und vierbeinige Nachbarn. Und sogar Eichhörnchen!

Mit seinem Altersgenossen, unserem Maine-Coon-Kater Cooniebert hatte er sich damals bestens verstanden. Mit Kater Blacky weniger, aber man kann sich seine Gesellschaft eben nicht immer aussuchen.

Als mein Kollege seinen Kater im September wieder bei uns vorbeibrachte – mit eigenem Fressnapf und einer Tüte voller Verpflegung im Gepäck – erwarteten wir eigentlich, dass Ivan pfeilgerade auf den Balkon zusteuern und seine geliebte Kratzbaumplattform besetzen würde. Aber was war das? Mit finsterem Gesicht saß er in seinem Transportbehälter, knurrte bedrohlich und weigerte sich standhaft, seine Box zu verlassen.

Da die Box am nächsten Tag anderweitig benötigt wurde, war guter Rat teuer. Den Kater herauslocken? Ging nicht. Ihn aus der Transportbox herausziehen oder gar „herausschütten“? Ging auch nicht. Er krallte sich darin fest, als ob es um sein Leben ginge.

„Weißt du was?“, sagte ich zu meinem Kollegen, „du lässt mir die Box einfach da, und ich leihe dir eine von meinen. Wenn du Ivan abholst, tauschen wir wieder.“
So machten wir es. Mein Kollege verabschiedete sich. Ivan knurrte.

Ob er seine schönen Mai-Ferientage bei uns vergessen hatte? Unsere beiden Kater jedenfalls schienen sich an ihn zu erinnern. Cooniebert ging auf den kleinen Kerl im Kennel zu und wollte ihn begrüßen. Ivan knurrte, fauchte und spuckte. Cooniebert trat langsam den Rückzug an. Wäre er ein Mensch gewesen, hätte er jetzt verwundert den Kopf geschüttelt.

„Das wird schon,“ ermutigte mich meine bessere Hälfte. „Niemand hält es durch, zehn Tage lang miese Laune zu haben. Nicht mal Ivan.“ – „Hm. Hoffen wir mal, dass du Recht behältst!“ Im Moment sah es eher danach aus, als trainiere der Kater für die Weltmeisterschaft im Dauergranteln. Er knurrte.

Ich stellte Ivan mitsamt seiner Transportbox in unser Büro, stattete ihn mit Futter, Wasser und Gästeklo aus und sagte: „Gute Nacht, Ivan. Wir sind gleich nebenan. Aber eins sag ich dir: Wenn du auch noch knurrst, während du schläfst, dann sperre ich dich ins Bad. Nachts will ich meine Ruhe haben!“

Ganz ruhig verlief die Nacht nicht. Man hörte es immer wieder rascheln und knistern, wenn unsere zwei sich im Büro zu schaffen machen und ein Knurren und Kreischen, wenn sie dabei Ivans Kennel zu nahe kamen. Am nächsten Morgen steigerte sich das Spektakel noch, als Cooniebert und Blacky Interesse an Ivans Spezialfutter zeigten.

„Hilft alles nichts“, sagte ich, nachdem ich alle Katzen abgefüttert und die Katzenklos gereinigt hatte. „Mit dem ziehe ich jetzt die klassische Quarantänenummer durch.“ Ich sperrte Ivan im Büro ein. Der erste, der von der Arbeit kam, konnte ihn ja wieder herauslassen – falls er vom Rest der Wohnung überhaupt etwas wissen wollte.

Als ich am Abend nach Hause kam, stand die Bürotür bereits offen. Das Gästeklo war benutzt, das Nassfutter vertilgt und eine ordentliche Menge davon auf dem Teppich und in der Transportbox verteilt. Ivan saß in seiner Box und knurrte.

„Du bist ein Pelzferkel“, sagte ich zu unserem Gastkater. „Guck mal, wie das hier aussieht! Essen sollst du das und nicht die ganze Bude damit vollkrümeln!“ Ich holte den Staubsauger und rückte der Schweinerei zu Leibe. Als der Staubsauger das Innere der Transportbox berührte, machte Ivan einen Satz aus seiner Box und flüchtete in die Nische zwischen Regal und Schreibtisch. Von dort aus beobachtete er das weitere Geschehen.

Die Transportbox war verwaist! Darauf schien Cooniebert nur gewartet zu haben. Er hechtete hinein und wälzte sich genüsslich darin herum. Wie ich die langen Main-Coon-Haare jemals wieder von dem textilen Innenbezug herunterbekommen soll, ist mir zur Stunde noch ein Rätsel.

Unterdessen hatte Ivan in der Nische ein Stück Verpackungsmaterial gefunden, eine zusammengeknüllte Papierkugel. Cooniebert hatte am Vortag damit gespielt. Ivan jagte die Kugel über den Boden, nahm seine Beute schließlich ins Mäulchen – und knurrte.
„Ich fasse es nicht! Der knurrt sogar beim Spielen!“

Ich legte eine CD auf, auf der nichts drauf war außer eine Stunde Katzenschnurren. Alle drei Katzen schauten mir eine Weile beim Päckchenpacken zu – ohne Geknurre. Dann wurde es ihnen zu langweilig. Ivan war der erste, der sich schlafen legte. Nicht in seiner Transportbox, denn in dieser räkelte sich ja unser Maine-Coon-Kater. Ivan rollte sich auf dem Teppich zwischen Schreibtisch und Regal zusammen.

Als er schlief, näherte sich Cooniebert auf leisen Pfoten, schnupperte an ihm – und schlabberte ihm einmal zärtlich mit der Zunge über den Kopf. Ivan riss die Augen auf, fuhr hoch und kreischte in den höchsten Tönen. Der Anfall dauerte zum Glück nicht lange. Er befand wohl, dass eigentlich nichts gar Schlimmes passiert sei und bettete sich wieder zur Ruhe.

Wenn er sich schon durch so einen freundlichen Katzenschlabberer aus der Ruhe bringen ließ, wie würde er dann die für den kommenden Tag geplante Hausputzaktion überstehen? Auch das Büro bedurfte einer Grundreinigung und ich hatte nicht die Absicht, um Ivan und dessen Ausrüstung herumzuputzen.

Zum Glück war das Wetter schön, und so schleppte ich den heftig protestierenden Kater mitsamt seinem Transportkorb hinaus auf den Balkon und parkte ihn unter dem Blumentisch. Dort saß er nun, schaute finster – und knurrte. Auf einmal fesselte eine kleine Spinne seine Aufmerksamkeit, die direkt vor seiner Box herumkrabbelte. Er vergaß, dass er ja eigentlich schlecht gelaunt sein wollte, kam aus der Box und schnupperte der Spinne hinterher. Dann sah er sich um. Plötzlich schien er die Umgebung wiederzuerkennen – und stürmte wie die wilde Jagd auf die Kratzbaum-Aussichtsplattform, die er vier Monate zuvor für sich entdeckt und beansprucht hatte.

Nun war der Groschen gefallen. Hier war er schon einmal gewesen, und hier würde ihm niemand etwas antun. Von da an wuselte er kreuz und quer durch die Wohnung. Das war einerseits gut. Und andererseits wieder nicht, weil man ihn andauernd suchen musste. Jede Katze – und bei uns haben sich schon sehr viele aufgehalten – findet neue Lieblingsplätze und Verstecke in der Wohnung. Die eine kriecht in den Bettkasten, was man nie für möglich gehalten hätte, der andere linst auf einmal aus dem Gitter des stillgelegten Kachelofens und der dritte findet eine elegante Möglichkeit, auf den Wohnzimmerschrank zu gelangen und sich unsichtbar für den Betrachter hinter den Büchern schlafen zu legen.

Auch Ivan war da recht erfinderisch. Als Schlafplatz hatte er sich das Badezimmer auserkoren. Damit er nicht auf einer schnöden Badematte nächtigen musste, stellte ich ihm ein kreisrundes Plüsch-Katzenbett hin, das „Storchennest“. Dorthin zog er sich zurück, wenn er müde war. Er saß auch gerne hinter Türen oder unter dem Kachelofen. Das wusste ich alles noch vom letzten Mal.

Am Sonntag habe ich ihn trotzdem mit wachsender Panik gesucht. Vom Keller bis zum Dachboden habe ich jedes mir bekannte Katzenversteck durchkämmt. Ohne Erfolg. Er war wie vom Erdboden verschluckt. Er war doch nicht etwa in den Garten entwischt, als wir den Müll hinausbrachten? Um Himmels Willen! Der arme Kleine! Und wie sollte ich das nur meinem Kollegen erklären?

Ich zwang mich zur Ruhe und überlegte, wann ich Ivan denn zuletzt gesehen hatte. Das war ... als ich die Wäsche in die Schränke räumte. O ja, die Wäsche! Ahnungsvoll öffnete ich die Türen der Kleiderschränke. Und siehe da: Ganz unten auf einem Stapel Pullovern thronte Ivan und blinzelte mich verschlafen an. Mir fiel eine ganze Wagenladung Steine vom Herzen.

„Na, da bist du ja! Liegst da wie der Prinz auf der Erbse!“ Ich lehnte die Schranktür wieder an und ließ meinen Erbsenprinz weiterschlafen. Die Pullover waren nun schon vollgehaart, also konnte er genau so gut noch ein Weilchen liegen bleiben.

Nach einer Woche in unserem Haushalt hat sich angenehme Routine eingestellt. Ivan übernachtet in seinem „Storchennest“ im Bad, die anderen beiden auf ihren Lieblingsplätzen im Wohnzimmer. Morgens werden als erstes unsere beiden Kater gefüttert – in der Küche. Dann serviere ich Ivan das Frühstück draußen auf seinem Balkon-Kratzbaum. Stilecht auf einem silbernen Tablett, wie es sich für einen Prinzen auf der Erbse gehört. Dass ich kein anderes Tablett habe, spielt jetzt mal keine Rolle. Die Balkontür bleibt, solange er seine Mahlzeit einnimmt, verschlossen. Denn sonst würde das Spezialfutter unweigerlich in den Mägen von Blacky und Cooniebert landen. Erst nach dem Frühstück dürfen auch die beiden anderen hinaus. Inzwischen hat Ivan sich auch daran gewöhnt, dass bei uns auf dem Land der Tag zwei Stunden früher anfängt als er das von zu Hause her kennt.

Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, knurrt Ivan nicht mehr, er schnurrt. Und er folgt mir sogar bis ins Bad und zur Toilette. Er lässt sich streicheln und knuddeln. Aber es war für alle Beteiligten doch eine große Aufregung, bis es so weit war.

„Meine Schwester nimmt auch Pflegekatzen“, erzählte mir eine Kollegin. „Manche fühlen sich da schon wie zu Hause. Vielleicht kann Ivan ja im nächsten Frühjahr bei ihr unterkommen.“ „Da ist er womöglich vom ersten Tag an brav wie ein Lämmchen“, sagte ich. „Und bei mir macht er so einen Zirkus. Da wäre ich ganz schön blamiert!“

Einen Versuch wäre es möglicherweise Wert. Vielleicht gefällt es ihm dort besser als bei uns. Doch, Ivan, Schätzchen, sei so lieb und ruiniere nicht meinen Ruf als Catsitter – führ dich auch bei der anderen Familie wenigstens ein ganz kleines Bisschen wie der Prinz auf der Erbse auf!

Autor: Vandam

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