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Omas Schäferhund

Wenn der Hund mit der Oma Gassi geht

Wenn ich an meine Kindheit zurückdenke, dann war es meine Großmutter, die eine dominierende Rolle in meinem Leben gespielt hat. In unserem Bremer Haus bewohnte sie eine sehr geräumige Wohnung unter dem Dach, urgemütlich eingerichtet mit wunderschönen alten Möbeln, die noch von Hand gefertigt waren. In Omas Wohnzimmer habe ich regelmäßig meine Schulaufgaben gemacht und meine Kinderkrankheiten wie Masern, Mumps usw. auskuriert. Mit Oma war es nie langweilig, sie konnte wunderbare Geschichten erzählen und ich hing sehr an ihr. Sie war der ruhende Pol in unserer Familie und verlor eigentlich nie die Fassung.

Als ich 10 Jahre alt war hatte Tante Lenas Schäferhündin Dina über Nacht Junge geworfen, 6 Hundebabys. Als der Anruf kam, ist Mutter sofort rübergelaufen (Tante Lena wohnte in der Nachbarschaft). Wenige Wochen später zog eins der Hundebabys, Tamara, in unseren Haushalt ein und wirbelte ihn kräftig durcheinander. Wir konnten uns bald ein Leben ohne „Maatje“ überhaupt nicht mehr vorstellen. Als sie alt genug war, begleitete sie Oma zum Garten. Von Beginn des Frühlings bis in den Herbst hinein fuhr meine Großmutter mit dem Fahrrad jeden Tag in ihren Garten in der Nähe des Bremer Flughafens. Oft habe ich sie begleitet, denn ich fühlte mich schon als kleines Mädchen in der Großstadt Bremen zwischen all den Häusern nie richtig wohl.

An dem bewussten Tag, von dem ich hier erzählen möchte, war ich jedoch zu Hausarrest verdonnert worden, um mit meinem 6 Jahre jüngeren Bruder Diktat zu üben, eine sehr undankbare Aufgabe, denn mein Bruder hasste die Schule und alles, was damit zu tun hatte. Während ich mich also geduldig bemühte, Mutters widerspenstigem Liebling die Grundregeln der Rechschreibung beizubringen, radelte Oma in Begleitung von Tamara in Richtung Schrebergarten.

Es war bereits 20.00 Uhr, wir saßen in der Küche beim Abendbrot und es war nicht zu übersehen, dass meine Mutter immer öfter auf die Uhr sah. Ich verstehe nicht, wo Oma wieder solange bleibt, meinte sie. In einer halben Stunde ist es dunkel und du hast das Rücklicht an ihrem Fahrrad immer noch nicht repariert, sie warf Paps einen vorwurfsvollen Blick zu, den er mit offensichtlichem Unbehagen erwiderte. Du kennst Oma doch, sie hat mal wieder die Zeit vergessen, sie wird sicher gleich kommen. Gleich morgen früh repariere ich das Rücklicht, versprochen. Ich wusste er würde sein Wort halten. Auf Paps war immer Verlass.

Plötzlich hörten wir Schritte und Hundegetrappel im Treppenhaus. Die Wohnungstür wurde aufgeschlossen, wenige Minuten später die Küchentür geöffnet und als erste stürmte Tamara herein und wie der geölte Blitz zu uns unter den Tisch, das verkörperte schlechte Gewissen. Paps war gerade dabei sich die 3. Tasse Tee einzugießen, als Oma in der Küchentür stand. Ihr Anblick überwältigte ihn derartig, dass er immer weiter einschenkte, obwohl der Tee längst über den Tassenrand floss, keiner von uns achtete auf dieses kleine Malheur, alle Blicke waren fassungslos auf die merkwürdige Gestalt in der Küchentür gerichtet. Oma, eine an sich eine Respekt einflößende Persönlichkeit von immerhin 180 m, sah zum Fürchten aus, sie hatte die Kleider der Vogelscheuche an, dazu ein paar alte ausgediente Gummistiefel, und ihre langen silbergrauen Haare, die sie sonst immer mit einem Knoten und einem Haarnetz hinten im Nacken zusammenhielt, waren durchzogen mit Entenschwamm und hingen ihr wirr um das Gesicht. Am schlimmsten aber waren die Augen, die vor Zorn fast schwarz blitzten und funkelten, während sie nach Worten rang.

Das war das letzte Mal! Oma bebte vor Empörung, sie holte tief Luft: Das war das letzte Mal, wiederholte sie, während ihre Stimme drohend anschwoll und ihre Augen immer noch schwarze Blitze abschossen glich sie einer rächenden Nemesis, allerdings in Lumpen. Mumm war die erste, die die Sprache wiederfand: Was ist den passiert, wie siehst du bloß aus? Das war das letzte Mal, wiederholte Oma abermals und dann kam eine eindrucksvolle Pause, die Spannung stieg. Die ganze Situation war vergleichbar mit einem Sommergewitter, erst Blitz und Donner und dann… nach kurzer Atempause öffneten sich die Schleusen und die ganze unglaubliche Geschichte brach aus ihr heraus.

Während Oma im Garten Johannisbeeren pflückte, lag Tamara im Gartenhaus unter einem alten Biedermeierstuhl und döste vor sich hin. Auf Omas Ruf, Tamara komm, wir wollen nach Hause, schreckte die Schäferhündin hoch, dabei verhakte sich ihr Gliederhalsband in einer Sprungfeder, die unter dem Polsterstuhl hervorragte. Tamara jagte in heller Panik aus der Hütte, mit dem Polsterstuhl auf dem Rücken auf Oma zu. Oma stand an dem kleinen Wassergraben, der die natürliche Grenze bildete von ihrem zum nachbarlichen Schrebergarten. Durch die heftigen Sommergewitter am Tag zuvor führte der kleine Graben sehr viel Wasser und war über und über bedeckt mit jenem Grünzeug, dass wir Entenschwamm nannten.

Als Tamara auf sie zustürmte, versuchte Oma sie von dem Stuhl zu befreien, dabei bekam sie einen Stoß und fiel rücklings in den Bach, mit samt dem Polsterstuhl. Mühsam gelang es meiner Großmutter die Böschung hoch wieder ans Ufer zu klettern, in dem Augenblick, als sie sich aufrichtete, sprang die überglückliche unendlich dankbare Tamara sie an und Oma tauchte ein zweites Mal unter. Alles weitere konnten wir uns dann zusammenreimen. Oma brauchte trockene Kleidung, und die lieferte die Vogelscheuche. Glücklicherweise befand sich in der kleinen Gartenlaube kein Spiegel, so dass Großmutter ihr groteskes Outfit wenigstens nicht vor uns sehen konnte. Also stieg sie mit Wut und Empörung im Bauch auf ihr Fahrrad und machte sich mit Tamara auf den Heimweg. Ich habe sie nie gefragt, ob sie unterwegs Bekannte getroffen hat.

Als Großmutter mit ihrer abenteuerlichen Geschichte am Ende war, klang ihre Stimme bereits wieder normal. Sie sah prüfend in die Runde, als erwarte sie eine Reaktion auf das soeben Gehörte. Tamara saß immer noch unter dem Küchentisch und hatte schutzsuchend ihren Kopf in meinem Schoß gelegt. Paps hatte einen verdächtig roten Kopf und presste die Lippen aufeinander, als litte er an Zahnschmerzen, während Mumm plötzlich aufsprang, und hektisch anfing, die übergelaufene Teepfütze vom Tisch zu tupfen.

Ich verlor als erste die Beherrschung, dank meiner ungeheuren Vorstellungskraft war das ganze Geschehen vor meinem geistigen Auge wie ein Film abgelaufen. Ich prustete los, gab damit das Startsignal und rettete gleichzeitig meinen Stiefvater vor einem Erstickungsanfall, er und Mumm lachten lauthals los, wobei ihm die Tränen übers Gesicht liefen. Einen Augenblick lang saß meine Großmutter wie erstarrt da während dieses Heiterkeitsausbruchs, doch dann… lachte sie mit, und damit war endgültig ihre Wut verraucht. Tamara kam unter dem Küchentisch hervor und während ich Oma eine Scheibe Brot schmierte, und Paps Großmutter eine Tasse Tee eingoss, sorgte Mumm für Tamaras leibliches Wohl.

Am Nachmittag des darauf folgenden Tages wurde unsere Wohnungstür aufgeschlossen und Oma rief, Tamara, willst du mit zum Garten? Die Schäferhündin hatte schon mit schiefgehaltenem Kopf vor der Tür gesessen und einträchtig zogen die beiden los, wie zwei gute alte Freunde.

Autor: Shiralee

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