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Ingrid hilft, einen Mörder zu überführen

Am frühen Vormittag betrat ich durch die großen Drehtüren das Gebäude meiner Krankenkasse. In der Halle spürte ich eine gewisse Unruhe. Menschen hasteten hin und her und riefen sich kurze Worte zu. Ich ging zum Empfangstresen und fragte nach der Zimmernummer von Herrn Rösner. Ein misstrauischer Blick traf mich. Nach kurzem Zögern griff die Empfangsdame zum Telefon. Kurz darauf erschien eine junge Frau mit forschem Schritt. Sie bat mich ihr zu folgen, in einem kleinen Raum angekommen, stellte sie sich als Kriminalbeamtin Berger vor und bombardierte mich mit Fragen.

„Hatten Sie einen Termin bei Herrn Rösner?“ - „Nein, ich hatte mich per Anrufbeantworter angekündigt.“
„Konnten Sie Ihr Anliegen nicht schriftlich oder telefonisch klären?“ „Das habe ich ohne Erfolg versucht.“
„Warum wandten Sie sich nicht an einen Vorgesetzten?“ „Habe ich, er war ständig nicht erreichbar.“
„Und was wollten Sie heute persönlich von Herrn Rösner?“
„Eine Freundin bat mich um Hilfe. Sie wartet seit einem dreiviertel Jahr auf einen Elektrorollstuhl. Geliefert wurde ihre ein altes gebrauchtes Modell. Jetzt ist der Antrieb defekt und nicht reparabel. Seit drei Monaten ist sie nun schon ohne einsetzbaren Rollstuhl. Immer wieder wurde sie vertröstet. Das will ich heute endgültig mit Herrn Rösner klären. Aber warum wollen Sie das alles wissen? Kann ich jetzt bitte den Sachbearbeiter sprechen?“ Frau Berger sah mich scharf beobachtend an: „Herr Rösner ist tot, er wurde heute Morgen gefunden. Wo waren Sie gestern zwischen 20 und 22 Uhr?“
„Was soll diese Frage? Verdächtigen Sie mich…Ich war zu Haus,“ gab ich erbost zurück.
„Kann das jemand bezeugen?“ „Nein, ich war allein. Vielleicht doch…Von 20 Uhr bis ca. 20:45 Uhr telefonierte ich, unter anderem rief ich den Apparat von Herrn Rösner an, um mein Kommen anzukündigen, ich sprach auf den Anrufbeantworter. Danach saß ich am Computer. Wenn man daran arbeitet, speichert er automatisch die Zeiten.“
„Kennen Sie sich mit dem Sachgebiet von Herrn Rösner aus?“ „Sehr gut sogar,“ antwortet ich, ohne nähre auf meinen Kenntnisstand einzugehen.

Ich verabschiedet mich, bot aber meine Hilfe an, wenn Frau Berger noch Fragen hatte. Ein paar Tage später rief mich die Kripobeamtin tatsächlich an. Es waren Berge von Akten durchzusehen. Sie bat mich darum. Einen Krankenkassenmitarbeiter wollte sie nicht dazu holen, aus Angst, er würde Details vertuschen. Der Stadtanzeiger brachte die Meldung des Mordes zwar und bat darum, wer etwas beobachtet hatte, sollte sich melden, aber es kam keine Meldung aus der Bevölkerung. Ich willigte also ein. Frau Berger teilte mir sogar den bisherigen Ermittlungsstand mit: Bei der Spurensuche wurde eine Patronenhülse gefunden, die unter einen Schrank gerollt war. Die Untersuchung ergab, dass Herr Rösner mit einer Pistole Walter P1 erschossen wurde. Diese Waffen aus dem II. Weltkrieg gab es, meist gut versteckt, in vielen Familien.

Anfangs sortierte ich die Akten nach privater und dienstlicher Natur. Privat schien Herr Rösner ein Draufgänger gewesen zu sein. Etliche Kolleginnen schien er angebaggert zu haben, war er erfolgreich, beendete er nach kurzer Zeit das Verhältnis und hatte schon die nächste im Visier. Scheinbar kam es deshalb auch zu einem lauten Streit im Büro. Herr Rösner hatte seinem Kollegen Niemeyer die Freundin ausgespannt. Bei den anschließenden Vernehmungen bestätigten die Mitarbeiter, dass der Kollege gedroht hatte, er würde Rösner umbringen, wenn sich dieser seiner Freundin erneut nähern würde. Herr Niemeyer besaß eine P1. Doch schnell war klar, die tödliche Kugel wurde aus dieser Pistole nicht abgefeuert.

Obwohl die Kolleginnen und Kollegen sich darauf geeinigt hatten, nichts zu sagen, um nicht jemanden unnötig zu belasten, erfuhr die Kommissarin von diesem Streit sowie von einem anderen heftigen Disput, der zwischen Rösner und seinem Vorgesetzten stattfand. Der hatte sich während der Karnevalszeit krank gemeldet, wurde von Herrn Rösner aber beim Rosenmontagsumzug gesehen. Rösner meldete dies der Personalabteilung, wohl in der Hoffnung, sein Chef würde entlassen und er seinen Posten erhalten. Doch auch der Vorgesetze hatte ein Alibi. Freunde bestätigten, dass er zur Tatzeit in einem vollen Lokal war.

Die Gruppe der Verdächtigen. die beruflich voller Zorn auf Herrn Rösner war, schien wesentlich größer zu sein. 80 % aller Anträge wurden von ihm abgelehnt. Die meisten Mitglieder gaben sich mit dem Bescheid zufrieden. Aber einige wenige Mitglieder, zu denen auch ich gehörte, wehrten sich. Eine Familie rückte in den Kreis der Verdächtigen, als bekannt wurden, dass Rösner die Auslieferung eines Hilfsmittels so lange rauszögerte, bis das Mitglied verstorben war. Die Familie schickte Rösner täglich Drohbriefe und betrieb Telefonterror. Die Familienmitglieder gaben sich natürlich gegenseitig Alibis.

Frau Berger kam einfach nicht weiter. Zu diesem Zeitpunkt meldete sich ein Obdachloser. Er hatte die Nacht auf einer Parkbank gegenüber dem Gebäude verbracht. Er hatte die Person gesehen, wie sie gegen 21:15 Uhr das Gebäude durch den Personaleingang betrat, und es nur wenig später im Laufschritt verließ. Die Polizei hatte den Zeugen bei der Nachbarschaftsbefragung nicht entdeckt, weil er zu diesem Zeitpunkt bereits auf der Suche nach weggeworfenen Pfandflaschen war.

Die Aussage des Obdachlosen war so konfus, dass die Kommissarin sich entschloss, eine Gegenüberstellung zu machen. Alle Verdächtigen wurden geladen, zu einem bestimmten Termin in das Gebäude der Krankenkasse zu kommen. Der Zeuge sollte sie unbemerkt beobachten können. Er war sehr aufgeregt und bat darum, noch einmal zur Toilette zu gehen.

Als er nicht wiederkam, ließ die Kommissarin ihn suchen, doch er blieb verschwunden. Keiner wusste, was geschehen sollte. Ich schlug verzagt vor, den Feueralarm auszulösen. Alle Menschen im Gebäude würden zum Ausgang rennen. Auf diese Weise könnte man den Zeugen finden. Die Idee gefiel Frau Berger. Der Feueralarm gellte durchs Haus. Die Situation drohte mir zu entgleiten. Ich musste unbedingt nachdenken. Dazu brauchte ich Ruhe. Unbemerkt schlich ich in den Keller.

Leise öffnete ich die Tür zum Archiv, ging in zielsicher links um das erste Regal. Auf dem Boden gekrümmt lag der Obdachlose. Hände und Füße hatte ich ihm mit Klebeband gefesselt, aus seinem Mund schaute mein bunter Chiffonschal, den ich morgens noch getragen hatte. Niemandem von der Polizei fiel auf, dass ich ihn nicht mehr trug. Ich beugte mich über den Zeugen, mir war klar, was ich zu tun hatte.

„Hände hoch und drehen Sie sich mit dem Gesicht zur Wand. Ich verhafte Sie wegen Mordes an Fritz Rösner.“ Der scharfe Befehl von Frau Berger schallte durch den Raum. Sie stand dicht hinter mir. Polizeibeamte hatten ihre Waffen auf mich gerichtet. Einer legte mir Handschellen an.

„Wie sind Sie mir auf die Spur gekommen?“ Ich musste Frau Berger diese Frage stellen.

„Sie gehörten von Anfang an zum Kreis der Verdächtigen. Ihr Interesse war zu groß. Während Sie sich an den Ermittlungen beteiligten, prüften wir Ihren Computer. Der registriert nicht nur, wann Sie gearbeitet haben sondern auch, wann Sie die Einstellungen veränderten. Ganz schön clever, die Uhrzeit zu manipulieren, allerdings: Das interne Computerprotokoll konnten Sie nicht ändern.

Die P1 in der Werkzeugschublade fanden wir schnell und untersuchten sie ballistisch. Die Fingerabdrücke auf der Waffe stimmten mit der am Tatort gefundenen Patronenhülsen überein. Die zentrale Fingerabdruckdatei in unserem Laborcomputer bestätigte, es sind Ihre Fingerabdrücke. Woher wir das wissen?“
Die Kriminalbeamtin hatte sichtlich Spaß, mich vorzuführen.
„Sie erinnern sich vielleicht: Vor rund fünf Jahren bürgten Sie für einen Gast und besiegelten die Urkunden mit Ihrem Fingerabdruck. So haben wir Sie überführt… Und jetzt Jungs, abführen!“

Autor: Zwillingsjungfrau

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