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Allein mit Fernseher und Kirschlikör

Mit feinem Humor und viel Selbstironie beschreibt unsere Kolumnistin Edda, bei Feierabend als Niagara bekannt, ihren nicht immer ganz leichten Alltag.

Eddas Allerlei

Allein mit Fernseher und Kirschlikör

Neulich im Supermarkt: Vor mir in der Schlange an der Kasse steht eine alte Dame ohne Einkaufswagen, beladen mit zwei Literflaschen Mineralwasser. „Darf ich die Wasserflaschen schon mal aufs Band legen, sie sind ziemlich schwer?“, fragt sie die vor ihr stehende Kundin. „Wissen Sie, ich habe Arthrose und Osteoporose, neulich habe ich mir das Schultergelenk gebrochen. Es ist zwar inzwischen verheilt, schmerzt aber immer noch.“

Die Angesprochene antwortet nicht, nickt nur, schaut gleich wieder in eine andere Richtung, sichtlich genervt von der Aufzählung der Krankheiten. Die ältere Dame scheint nichts von dem Unmut der Kundin zu bemerken und redet ununterbrochen weiter: „Ich habe noch etwas vergessen“, sagt sie schließlich und verschwindet. Die andere wendet sich jetzt an mich, verdreht die Augen: „So eine Nervensäge.“

Schon kommt die alte Dame zurück, schiebt sich an mir vorbei, legt eine Flasche Kirschlikör auf das Band. „Haben Sie den schon einmal versucht?“ Wieder kommt keine Antwort, ja, die Angesprochene wendet nicht einmal den Kopf, schaut in eine andere Richtung. „Ich genehmige mir jeden Abend zwei Gläschen davon. Man hat ja sonst nichts. Seit dem Tod meines Mannes vor einem Jahr bin ich allein. Den ganzen Tag laufen bei mir Radio oder Fernseher, damit ich menschliche Stimmen höre. Ab und zu besucht mich meine Tochter. Aber sie nimmt dann jedes Mal eine meiner Zeitschriften, setzt sich in die Ecke, liest und unterhält sich nicht mit mir.“

Jetzt wendet sie sich an den Kassierer. Während dieser die Waren scannt, hört er, trotz der Hektik an seinem Arbeitsplatz, freundlich lächelnd zu, gibt Antwort, als die alte Dame über das Wetter klagt, das ihre Beschwerden mit den Knochen noch verstärkt. Die andere Kundin ist fertig, schiebt mit ihrem Einkaufswagen davon, zwinkert mir zu – sichtlich erleichtert, weil die alte Dame ein neues Opfer gefunden hat.

Jetzt verabschiedet sich die alte Dame von dem Kassierer, der ihren Gruß herzlich erwidert und ihr einen schönen Abend wünscht. Auch ich bin fertig, bezahle, packe meine Einkaufstasche und eile hinaus. Wie isoliert muss ein solcher Mensch leben, dem Kunden und Kassierer im Supermarkt die einzigen Ansprechpartner sind, überlege ich. Vielleicht sollte ich die Einsame zu einer Tasse Kaffee einladen und ihr eine Viertelstunde zuhören? Aber ich kann meinen Vorsatz nicht in die Tat umsetzen. Die alte Dame ist verschwunden – zu einem weiteren Abend alleine zu Hause mit Fernseher und Kirschlikör.

Eure Edda

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